Côte d'Azur Cagnes-sur-Mer: Das Mekka für Künstler in Frankreich

Cagnes-sur-Mer (dpa) - Die Wandmalerei in der Bar mit den riesigen Elefanten stammt aus den 20er-Jahren, die herrliche Freske im Restaurant von Emile Auguste Wéry, einem Zeitgenossen und Freund von Henri Matisse.

Foto: dpa

Im „Château Le Cagnard“ wohnten auch Simone de Beauvoir und Jean-Paul Sartre.

Das Vier-Sterne-Hotel liegt in der Rue Sous Barri, einem schmalen Fußweg nahe dem Schloss Grimaldi, dem höchsten Punkt in Le Haut-de-Cagnes. Enge, kopfsteingepflasterte Gassen durchziehen das Altstadtviertel von Cagnes-sur-Mer, dessen Charme bis in die 1960er Jahre zahlreiche Künstler und Prominente anzog. Die im Jahr 1620 zu einem Palast umgebaute Burg wurde um 1300 zu Verteidigungszwecken von dem französischen Admiral Rainier Grimaldi, einem Vorfahren der Fürstenfamilie von Monaco, in Auftrag gegeben. Sie steht zentral in der Oberstadt, die zusammen mit dem Stadtteil Le Gros-de-Cagnes und weiteren Vorortbezirken Gagnes-sur-Mer bildet.

Das Hotel, ein ehemaliges Schloss aus dem 13. Jahrhundert, wechselte 2011 den Besitzer und wurde renoviert. In welchem der heute 28 Zimmer mit Mittelmeer-Blick Beauvoir und Sartre gewohnt haben, weiß in der Luxus-Herberge deshalb niemand mehr. In dem 1966 auf Deutsch erschienenen Memoirenband „Der Lauf der Dinge“ schreibt Beauvoir jedoch: „Wir hatten angenehme Zimmer im obersten Stock. Mein Zimmer grenzte an eine Terrasse, auf die wir uns hinsetzten, um zu plaudern. [...], und in der Ferne war das Meer zu sehen.“

Das Paar hatte während seiner ungewöhnlichen Zweierbeziehung nie unter einem Dach gelebt. Denn beide lehnten Monogamie ab und gewährten einander gegenseitige Freiheit und parallele Liebesbeziehungen. Diesen „Liebespakt“ hatten sie schon mit Anfang Zwanzig geschlossen. Er hielt 50 Jahre, bis zum Tod Sartres im April 1980.

Der Blick von der Terrasse des „Le Cagnard“ ist noch heute unverbaut. Rechts erstrecken sich die bis nach Cannes reichenden Küstenhügel, links das azurblaue Mittelmeer. Auch die Domaine des Collettes, das heutige Musée Auguste Renoir, ist von hier aus zu erkennen. In dem Landhaus verbrachte der Impressionist (1841-1919) seine letzten Schaffensjahre. Ihm folgten weitere Maler, darunter Chaim Soutine, Raoul Dufy und Moïse Kisling. Das „Montmartre an der Côte d'Azur“ wird die südfranzösische Stadt deshalb noch heute genannt.

Die Liste der Stars und Künstler, die sich hier ein Stelldichein gaben, ist beachtlich. Der belgische Schriftsteller Georges Simenon, der durch die Figur des Pfeife rauchenden Kommissar Maigret weltberühmt wurde, kaufte in Le Haut-de-Cagnes Mitte der 50er-Jahre für seine Frau Denise ein kleines Haus. Auch der schwedische Filmemacher Ingmar Bergman und Frankreichs Leinwanddiva Brigitte Bardot waren oft gesehene Gäste.

Viele von ihnen stiegen im „Le Cagnard“ ab, das als Inspirationsstätte bedeutender Literaten im Buch „Der schönste Aufenthalt der Welt: Dichter im Hotel“ von Rainer Moritz (Knesebeck Verlag, 2016) Eingang gefunden hat. „Bis in die 60er-Jahre hinein trafen sich hier auf dem Hügel prominente Persönlichkeiten aus aller Welt“, bestätigt auch Jean-Marc Nicolaï. Für den Mittfünfziger, der seit 16 Jahren Touristen durch die Gassen führt, liegt die Anziehungskraft nicht nur an der idyllischen Kulisse.

„Hier fanden die Stars auch Ruhe vor dem Rummel des Filmfestivals in Cannes“, erklärt Jean-Marc. Der Trend habe nachgelassen, als sich Bardot definitiv in Saint- Tropez niedergelassen habe. Die mondäne Metropole liegt nur rund 20 Kilometer von Gagnes-sur-Mer entfernt.

„Wir gingen unter blühenden Bäumen spazieren“, erinnert sich Beauvoir in „Der Lauf der Dinge“ an ihren Aufenthalt im Jahr 1949. Dabei fand sie genügend Ruhe und Inspiration, um den zweiten Band von „Das andere Geschlecht“ zu beenden. Die sozialgeschichtliche und philosophische Analyse der Situation der Frau ist zum berühmten Klassiker des Feminismus geworden. In Le Haut- de-Cagnes begann sie auch an einen Roman zu denken. „Oft träumte ich von ihm, während wir in den Kieferwäldern spazieren gingen oder durch die Lavendelfelder marschierten“, schreibt sie in dem Memoirenband.

Und Sartre? Laut Beauvoir wollte er während des dreiwöchigen Aufenthalts im Jahr 1949 an „La dernière Chance“ (dt.: Die letzte Chance) arbeiten. Ob er wirklich an dem Buch geschrieben hat und in welchem Umfang, erwähnt Beauvoir nicht. Den Roman über die Frage nach der Verantwortung für die Ereignisse des Zweiten Weltkriegs hat der Philosoph zwar angefangen, jedoch nie beendet.