Corona in Deutschland Steigen die Inzidenzwerte, weil wir mehr testen?
Update | Berlin · Die Zahlen steigen, weil mehr getestet wird - dieser Gedanke hält sich hartnäckig. Experten erklären, warum er zu kurz greift.
In Zeiten von zu wenig Impfstoff gelten Schnelltests als eine Maßnahme, die Pandemie in den Griff zu bekommen. Corona-Infizierte sollen früher erkannt und schneller isoliert werden. Manche behaupten nun, die Inzidenz steige wegen der Tests.
Verzerren Schnelltests das Infektionsgeschehen?
Die Kurve der gemeldeten Corona-Infektionszahlen in Deutschland geht wieder deutlich nach oben. Das Robert Koch-Institut (RKI) macht dafür vor allem die Ausbreitung der ansteckenderen und wohl auch tödlicheren Virusvariante B.1.1.7 verantwortlich. Doch es gibt auch Stimmen, die den Anstieg auf das Ansinnen der Bundesregierung zurückführen, mehr Menschen testen zu wollen. Hat das tatsächlich Auswirkungen?
„Dass die Inzidenz dadurch grundsätzlich steigen kann, ist richtig“, sagt der Bremer Professor Hajo Zeeb. Dann etwa, wenn Menschen nach einem Schnell- oder Selbsttest einen verpflichtenden PCR-Test machen. Nur ein solcher geht in die offizielle Statistik ein und damit auch in die Zahl der Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen (7-Tage-Inzidenz). Dass der Einsatz von Schnelltests aber bereits jetzt zum Anstieg der Inzidenz besonders beitrage, bestreitet der Leiter der Abteilung Prävention und Evaluation am Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie.
Schnelltestergebnisse sind noch nicht aussagekräftig
Einige Daten aus den Gesundheitsämtern zu den Schnelltests liegen dem RKI zwar vor, aber sehr aussagekräftig sind diese bisher nicht. Nach jüngsten Angaben war in den Kalenderwochen 1 bis 10 (4. Januar bis 14. März) bei jeweils weniger als 4 Prozent der positiven PCR-Tests zuvor auch ein positiver Schnell- oder Selbsttest erfolgt. Das Institut kommt daher zu dem Schluss, dass es deswegen „keine Verzerrung“ bei den PCR-Tests gebe. Nach den vorliegenden Daten ließen sich die höheren Fallzahlen nicht durch einen Anstieg der Schnelltests erklären, sagte RKI-Vizepräsident Lars Schaade am 19. März.
Überhaupt erfasst werden müssen sowieso nur die sogenannten Schnelltests, die zum Beispiel in Testzentren, Apotheken oder Arztpraxen von geschultem Personal durchgeführt werden. Positive Ergebnisse sind nach dem Infektionsschutzgesetz von dort den Gesundheitsämtern vor Ort zu melden. Ob das flächendeckend und vollständig geschehe, darüber kann das RKI keine Aussage treffen. In die offiziellen Statistiken gehen dann in jedem Fall nur die darauf folgenden PCR-Tests ein.
RKI-Chef Wieler sagte dazu, dass Labore grundsätzlich alle Daten ans RKI melden würden. „Da sehen wir sowohl die positiven als auch die negativen Testergebnisse.“ Laut RKI-Situationsbericht vom 10. März lag der Anteil positiv Getesteter an allen PCR-Tests in der Kalenderwoche 9/2021 bei 6,2 Prozent.
Selbsttests werden nicht erfasst
Im Gegensatz dazu laufen Selbsttests, wenn sie daheim am Küchentisch gemacht werden, quasi unterhalb des RKI-Radars. Denn eine Meldepflicht gibt es für sie nicht. Zwar sollte auch hier nach einem positiven Ergebnis ein PCR-Test zur Bestätigung oder Widerlegung unternommen werden, kontrollieren kann das aber niemand.
Während bei PCR-Tests im Labor das Erbmaterial des Erregers nachgewiesen wird, handelt es sich bei den prinzipiell weniger zuverlässigen Schnell- und Selbsttests um sogenannte Antigentests. Sie weisen in Abstrich-Proben Moleküle nach, die charakteristisch für das Virus sind.
Beispiel Baden-Württemberg: Im Südwesten wurden im Jahr 2021 bis Dienstag mehr als 104 000 positive PCR-Tests erfasst. Wie das Landesgesundheitsamt mitteilte, sind darunter 4379 Fälle, bei denen zuvor ein positiver Antigentest durchgeführt wurde - ein Anteil von etwa 4,2 Prozent. Der Leiter des Referats Gesundheitsschutz und Epidemiologie beim Landesgesundheitsamt, Stefan Brockmann, sagt: „Alle Testergebnisse von Schnelltests - negative wie positive - zu erfassen, lässt sich in der Praxis bislang nicht bewerkstelligen.“
Zudem ist zu beachten: Erst seit 8. März dürfen alle Bürger in Deutschland wöchentlich einen kostenlosen Schnelltest bei geschultem Personal machen. In den Wochen davor kamen die Tests zum Beispiel vor dem Zutritt in Altenheime zum Einsatz, in Kliniken und nach Infektionsfällen etwa in Schulen. Heute gibt es im Einzelhandel und in Apotheken zudem Selbsttests für zuhause.
Nach RKI-Angaben stieg der Anteil der positiven PCR-Tests, denen ein positiver Antigentest vorausging, zuletzt nicht in besonderem Maße an. Wie in den Wochen zuvor lag er auch zwischen 8. und 14. März bei weniger als 4 Prozent. Allerdings greift die Testoffensive bislang noch nicht flächendeckend und im großen Stil.
Mehr Tests bilden Infektionsgeschehen besser ab
Mit einer Ausweitung der Tests könnte man letztendlich dem realen Infektionsgeschehen Schritt für Schritt näher kommen. Der Lücke zwischen der vom RKI erfassten Inzidenz und der wirklichen Inzidenz in der Bevölkerung wird dann kleiner.
Der Vorteil der Antigentests: „Dass man Infektionsketten früher ausfindig macht, als wenn sie erst nach dem Auftreten von Symptomen erkannt worden wären“, sagt Epidemiologe Zeeb. In einer Zeit, als Schnelltests noch nicht so weit verbreitet waren, hätten viel mehr Menschen eine Infektion wegen fehlender Symptome möglicherweise nicht bemerkt. Die Dunkelziffer lasse sich damit verringern. Das bestätigte RKI-Chef Lothar Wieler in einer Pressekonferenz am 12. März: „Es ist selbstverständlich, dass durch die Selbsttests die Dunkelziffer ermittelt wird“, sagt er. Insgesamt werden also mehr Fälle erkannt, die - ohne Tests - zum Beispiel wegen geringer Symptome unentdeckt geblieben wären.
Eine intensivierte Testaktivität führe „zu einer vollständigeren und früheren Erfassung von Infektionen die andernfalls unentdeckt geblieben wären“, sagt auch Professor Gérard Krause, Chef-Epidemiologie am Helmholtz Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig.
Biometrikerin Zapf befürwortet daher ausgeweitete Schnell-Testungen, da symptomfreie Fälle sofort isoliert werden könnten. Der Nachteil: Bei falschen Positiv-Ergebnissen müssten Getestete bis zum Vorliegen des PCR-Ergebnisses mit der Unsicherheit leben - und noch schwerwiegender: Bei falsch-negativem Ergebnis würden sich Infizierte in falscher Sicherheit wiegen.
Letztlich lässt sich auch aus der absoluten Zahl der laborbestätigten PCR-Tests derzeit nicht ableiten, dass der Plan der Bundesregierung zu mehr Schnell- und Selbsttests derzeit schon wirklich massiven Einfluss auf die Zahlen hat: Nach Angaben der Akkreditierten Labore in der Medizin (ALM) wurden Anfang 2021 wöchentlich mehr als 1,05 Million PCR-Tests durchgeführt, in der zweiten Februar-Woche waren es dann nur noch 900 000. Seitdem sind sie nach und nach wieder auf 1,1 Millionen (8. bis 14. März) und zuletzt 1,2 Millionen (15. bis 21. März) gestiegen.
„Ein leichter Trend nach oben, aber nur marginal“, sagt Zeeb. „Die Untersuchungszahlen müssten wirklich deutlich nach oben gehen, wenn viel mehr ins System reinkommt.“ Zum Vergleich: Die Sieben-Tage-Inzidenz hat sich vom 14. Februar bis 21. März knapp verdoppelt.