Covid-19 Ruf nach weltweiter Impfgerechtigkeit

Rom · Entwicklungsorganisationen haben die reichen Industrienationen zu mehr Impfgerechtigkeit in der Pandemie aufgefordert. Erst 1,8 Prozent der Bevölkerung in armen Staaten seien geimpft.

Aktivistinnen in London tragen einen Sarg mit der Aufschrift „Drop The Patents“ (Weg mit den Patenten).

Foto: dpa/Aaron Chown

Entwicklungsorganisationen haben die reichen Industrienationen zu mehr Impfgerechtigkeit in der Pandemie aufgefordert. Vor dem Gipfel der führenden Wirtschaftsnationen (G20) am Wochenende in Rom wurde insbesondere eine Freigabe der Patente und eine bessere Verteilung der Impfstoffe gefordert. „Um endlich die Pandemie zu beenden, brauchen wir jetzt Impfstoffgerechtigkeit und einen transparenten Fahrplan, wann und wie Impfdosen geteilt werden“, sagte am Mittwoch Friederike Röder von der Gruppe Global Citizen.

Erst 1,8 Prozent der Bevölkerung in armen Staaten seien geimpft – gegenüber 63 Prozent in reichen Ländern, beklagen die Organisationen. „Niemand ist sicher, solange nicht alle sicher sind“, habe es am Anfang der Pandemie geheißen. Das Versprechen aber, deswegen für eine faire Verteilung der Impfstoffe zu sorgen, sei nicht gehalten worden. Die Mehrheit der G20-Staaten, angeführt von Südafrika und Indien, sei für eine Aussetzung der Patente, während vor allem Deutschland, die Europäische Union und Großbritannien die Vorschläge blockierten.

Weit vom gesetzten
Impfziel entfernt

Um das Ziel der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zu erreichen, bis Mitte 2022 mindestens 70 Prozent der Weltbevölkerung zu impfen, „muss weit mehr getan werden als bisher“, sagte Fiona Uellendahl von World Vision. Das 40-Prozent-Ziel bis Jahresende erscheine schon jetzt „kaum noch realistisch“. Impfstoffe seien „trotz großmundiger Solidaritätsbekundungen noch immer ungerecht verteilt“. Der weitaus größte Teil sei wohlhabenden Ländern vorbehalten, beklagte Uellendahl, die von „Impfstoffnationalismus“ sprach.

„Die ungerechte Impfstoffverteilung wirft nicht nur die ärmsten Länder zurück, sondern die ganze Welt“, sagte die Exekutivdirektorin des UN-Kinderhilfswerks Unicef, Henrietta Fore. Die G20-Staats- und Regierungschefs sollten sich daran erinnern, dass der Kampf gegen eine Pandemie nur gemeinsam gelingen könne oder sonst verloren werde. Von 1,3 Milliarden zugesagten Impfdosen für die Verteilungsplattform Covax seien bisher nur 194 Millionen weitergegeben worden.

In einem offenen Brief riefen 48 afrikanische Unicef-Botschafter und Prominente die G20-Staaten dazu auf, die zugesagten Impfdosen dringend bereitzustellen. „Es könnte nicht mehr auf dem Spiel stehen“ heißt es darin. Unterzeichner sind Persönlichkeiten aus Musik, Sport und Wissenschaft wie Angélique Kidjo, Arlo Parks, Davido, Tendai Mtawarira, Femi Kuti, Tony Elumelu und Winnie Byanyima.

Die G20 müssten den „unverzeihlichen Skandal der Impfungleichheit und des systematischen, fehlerhaften Umgangs mit der Pandemie“ anpacken, sagte Jörn Kalinski von Oxfam. Jetzt müssten die Staats- und Regierungschefs ihren Worten auch Taten folgen lassen. Die reichen Staaten und die Pharmazieunternehmen hätten eine „Impf-Apartheid“ in der Welt geschaffen. Die G20-Länder müssten ihre Differenzen beiseite legen und damit beginnen, die Rechte und Technologie der Impfstoffe zu teilen und die Produktion weltweit hochzufahren.

Auch die Organisation One forderte einen „Kurswechsel“. Statt eine flächendeckende Drittimpfung in ihren eigenen Ländern voranzutreiben, sollten die G20-Mitglieder sich für den Zugang der ärmsten Länder zu Impfstoffen stark machen. Bislang seien in reichen Ländern mehr als doppelt so viele Auffrischungsimpfungen verabreicht worden wie Erstimpfungen in ärmeren Ländern. Bei dem Tempo würde es über zehn Jahre dauern, bis alle Länder ausreichend Impfstoffe hätten, um die Ausbreitung des Coronavirus zu bremsen.

„Es kann doch nicht sein, dass wir in Deutschland bereits diskutieren, wer wann die dritte Impfung bekommt, während die meisten Menschen in ärmeren Ländern noch nicht einmal die Aussicht auf eine Erst-Impfung haben“, sagte Stephan Exo-Kreischer von One. „Das ist nicht nur absolut ungerecht, sondern auch unklug und kurzsichtig.“ Je länger die Menschen weltweit ungeimpft seien, desto mehr Corona-Varianten werde es geben, die nicht vor Grenzen halt machten.

„Wir verlängern gerade sehenden Auges die Corona-Pandemie“, sagte Exo-Kreischer. Die G20-Länder müssten daher alles daran setzen, dass endlich alle Menschen auf der Welt Zugang zu Impfstoffen erhielten. „Es gibt keine Ausreden mehr.“