Das „Hotel Mama“ kommt nicht aus der Mode
Frankfurt/Main (dpa) - Moritz Kleinhenz hat die Suche nach einer eigenen Bleibe erst einmal aufgegeben. „Ich kann es mir einfach nicht leisten, 400 bis 500 Euro für ein Zimmer auszugeben“, sagt der 23 Jahre alte Architektur-Student, der in Frankfurt noch bei seinen Eltern wohnt.
Sandra Zimmermann (25) ist nach der Trennung von ihrem Freund aus der gemeinsamen Wohnung im schleswig-holsteinischen Rendsburg aus- und wieder bei ihren Eltern eingezogen. Zumindest vorübergehend.
Mit Mitte 20 leben fast vier von zehn jungen Leuten in Deutschland noch bei ihren Eltern. 1972 waren es dem Statistischen Bundesamt zufolge in der Bundesrepublik und West-Berlin nur zwei von zehn. Längere Ausbildungszeiten und Wohnungsmangel haben Fachleute als Gründe ausgemacht. Junge Leute, die den Absprung von zu Hause noch nicht geschafft haben, sind meist wirtschaftlich unselbstständig, unverheiratet, kinderlos und ohne Anstellung, wie Familiensoziologin Corinna Onnen von der Universität Vechta sagt.
„Sollten die Mieten in vielen Hochschulstädten und Ballungszentren wie gerade im Rhein-Main-Gebiet weiter so explodieren, dürfte sich der Anteil der Studierenden erhöhen, die bei ihren Eltern wohnen bleiben“, sagt Stefan Grob vom Deutschen Studentenwerk. Die Zahl der Hochschüler sei in den vergangenen Jahren um 36 Prozent gestiegen, die der staatlich geförderten Wohnheimplätze aber nur um 5,5 Prozent.
Dies hat auch Student Kleinhenz zu spüren bekommen: „Es gibt viel zu wenig Studentenwohnheime und lange Wartelisten“, sagt er. „Ich könnte vielleicht in Hanau ein preiswerteres Zimmer finden, aber dann hätte ich eine lange Anfahrt.“ Von der Wohnung seiner Eltern bis zur Fachhochschule braucht er dagegen nur fünf Minuten mit dem Rad. Zum Jobben lässt sein Stundenplan wenig Zeit.
Florian Fischer sucht in Regensburg seit rund einem halben Jahr eigene vier Wände. „Die Wohnungslage ist miserabel“, sagt der Geschichtsstudent, der gerade auf dem Weg zu einer Maklerin ist. Der 24-Jährige hat sich mit zwei Kommilitonen zusammengetan, um eine WG zu gründen. „Wir sind jeden Tag auf der Suche.“ 80 Prozent der Anbieter antworteten gar nicht erst, „und wenn man mal eine Wohnung besichtigen darf, sind mindestens noch zehn andere Parteien da“. So wohnt Fischer weiter bei seinem Vater im rund 35 Kilometer entfernten Mallerdorf-Pfaffenburg.
Eltern und Kinder tickten aber auch anders als früher, gibt die Familiensoziologin Onnen zu bedenken. „Man muss sich nicht mehr wie James Dean gegen die Eltern auflehnen“, erklärt sie. „Es herrscht weitgehend Konsens zwischen den Eltern und jungen Erwachsenen.“ Zukunftsforscher Andreas Steinle formuliert es so: „Die Kinder sind zufrieden mit der Erziehung ihrer Eltern und haben ein freundschaftliches Verhältnis zu ihnen.“
Zudem sprächen Experten von einer überforderten Generation, die vor lauter Möglichkeiten keine Entscheidung für das eigene Leben zu fällen vermöge, sagt Onnen. Steinle sieht auch die Eltern in der Pflicht: Viele stellten einfach weiter das Essen auf den Tisch und machten nach wie vor die Wäsche. „Selbstständigkeit, diese Qualifikation, die heute jeder Mensch für die Zukunftsbewältigung braucht, wird oftmals durch übertriebene Elternliebe zunichte gemacht.“
Kleinhenz, Fischer und Zimmermann fühlen sich im Großen und Ganzen wohl zu Hause. „Die beiden sind sehr tolerant und völlig in Ordnung“, beschreibt Zimmermann ihre Eltern. „Aber dann kommt doch die Frage: Kommst du heute Abend zum Essen?“ Auch Kleinhenz ist recht zufrieden: „Ich komme gut mit meinen Eltern aus“, sagt er. „Ich habe ein großes Zimmer, die Wohnung ist schön und ich bin nicht den ganzen Tag allein.“ Schmunzelnd nennt der 23-Jährige weitere Vorteile: „Ich darf das Auto mitbenutzen und der Kühlschrank ist immer voll.“