Der Club der grünen Dichter

Im Internet schreiben Polizisten über die Belastungen ihres Alltags und gewähren Blicke in ihr Seelenleben.

Düsseldorf. Der Mann hat gerade seine Frau erschossen, anschließend die Polizei angerufen und gesagt: "Ich komme zu euch." Jetzt sitzt er im Vernehmungszimmer, gebrochen, verstört. Er brüllt: "Da musste ich erst zum Mörder werden, damit mir mal jemand zuhört." Im Leben eines Polizisten sind es Situationen wie diese, die belasten, sich aufstauen und ein inneres Chaos hinterlassen können.

"Ich suchte ein Ventil", sagt Volker Uhl. Der Kriminalhauptkommissar aus Freiburg entdeckte das Schreiben für sich, Prosa, Lyrik, je nach Stimmung und Vorlieben. Und fand, dass diese Art der Stressbewältigung auch Anderen helfen könnte. Also eröffnete er ein Internetportal für "Polizei-Poeten".

2002 war das, inzwischen haben gut 200 Polizisten aus ganz Deutschland ihre literarischen Botschaften hinterlassen. "Blicke unter die grüne Haut", nennt Uhl das. Im Piper-Verlag sind sogar schon drei Bücher erschienen. Und es gibt Workshops, unter anderem mit der Autorin Judith Kuckart ("Kaiserstraße", "Die Verdächtigen").

"Die erste Leiche vergisst man nicht", sagt Volker Uhl. Bei ihm war es der Kaufmann von nebenan, der ihm als Kind immer Bonbons geschenkt hatte. Jetzt lag er tot in seiner Garage, hatte sich mit Autogasen vergiftet. Uhl kam gerade von der Polizeischule. Doch darauf hatte ihn keiner vorbereitet. Wie auch? Er musste funktionieren, obwohl er sich ohnmächtig fühlte. Es blieb nicht sein einziges erstes Mal: der erste Raubüberfall, der erste Mord, die Betreuung von Angehörigen und Kollegen beim Flugzeugabsturz von Überlingen oder beim Amoklauf von Winnenden.

Die Uniform, die dem Polizisten alles Förmliche zu geben und alles Emotionale zu nehmen scheint, ist letztlich ein durchlässiger Panzer. Doch nach den Gefühlen der Menschen dahinter fragt keiner. "Klar, man muss professionell sein", sagt Uhl. "Aber wirklich gewöhnen wird man sich an all das, was in unserem Alltag geschieht, nie." So sind die Texte der poetischen Polizisten auch dichter als jeder Krimi - sie bilden schließlich Realität ab. Einige der Ermittler gehen jedoch mittlerweile über das eigene Erleben hinaus und schreiben Krimis.

Auch Wiltrud Wehner-Davin (85) ist eine Polizei-Poetin, die Älteste von allen. Ihr Text "Zeitreise" ist im dritten Buch "Die Angst ist dein größter Feind" erschienen, in dem ausschließlich Frauen zu Wort kommen. 1953 wurde sie bei der "Weiblichen Kriminalpolizei" eingestellt. Inzwischen lebt sie in einem Altenheim im Düsseldorfer Stadtteil Lörick. Ihr Zimmer hat die Nummer 110. Das kann man als "Hundertzehn" lesen oder als 1-1-0. "Ein Zufall", sagt sie und lacht. "Von der schnellen Truppe bin ich nun wirklich nicht mehr."

Sie habe schon immer gerne und viel geschrieben, sagt Wiltrud Wehner-Davin. Noch immer gehen ihr Ereignisse aus ihrem Berufsleben nach, auch wenn das schon 35 Jahre zurückliegt. Etwa der Fall des Mannes, der eine Schulfreundin seiner achtjährigen Tochter missbrauchte und tötete.

Darüber hat sie geschrieben. Geschichten, die aus einer anderen Zeit stammen und trotzdem aktuell sind. "Inzwischen gibt es mehr technische Hilfsmittel, aber im Grundsatz ist die Arbeit doch die gleiche: Es geht immer noch um Menschen und ihre Schicksale", sagt sie. "Man muss eine Distanz aufbauen, sonst schafft man das nicht." Das Leid Anderer sei ihr täglich Brot gewesen, "aber deshalb darf man nicht den Glauben an die Menschheit verlieren".