NRW Der Schutzschild der Hannelore Kraft
Die Gedankenwelt der Ministerpräsidentin bleibt immer wieder ein Rätsel. Und Gedankenspiele zur Zeit nach der Wahl sind für sie nur eines: überflüssig.
Düsseldorf. Bei Hannelore Kraft fragt man sich vielleicht ein bisschen öfter als bei anderen Politikern, was sie eigentlich wirklich denkt. Das liegt daran, dass die Antworten der SPD-Ministerpräsidentin bei öffentlichen Fragerunden erst durch einen zentimeterdicken Schutzschild aus Selbstkontrolle und Herablassung zu dringen scheinen. Man ist regelrecht dankbar, wenn sich wenigstens ab und an ein paar Risse zeigen. Mehrfach signalisiert sie, dass sie sich auf Gedankenspiele zu möglichen Regierungskonstellationen nach der Wahl nicht einlassen will. Auch nicht „gefühlsmäßig“ zu einer Minderheitsregierung? Da lacht sie geradezu spontan auf: „Ich fühle auch in dieser Richtung nichts.“
Was fühlt sie denn in Sachen Martin Schulz? Man meint eine leichte Gereiztheit herauszuhören, wenn auf einmal alles nur noch mit dem neuen Heilsbringer erklärt und auf ihn zugeschnitten werden soll. Ja, es hat seit Jahresbeginn in NRW 3300 Neueintritte gegeben bei derzeit rund 110 000 Mitgliedern. Die Regel sind vor Wahlen eher 250 bis 300 pro Monat. Ja, nach jetzigem Stand wird er sechsmal im Wahlkampf auftreten; ein paar Termine werden wohl noch dazukommen. Aber immer an seiner Seite stehen wird sie dabei dann doch nicht. „Und auf den Plakaten ist Schulz auch nicht drauf.“ Die gute Stimmung der Sozialdemokraten hat für Kraft viele Gründe, darunter auch das „sehr gute Wahlprogramm“.
In dem Wahlprogramm finden sich unter anderem Eckpunkte zum geplanten neuen Kindergartengesetz: eine beitragsfreie Kernzeit von 30 Stunden, eine bessere Betreuungsqualität und längere Öffnungszeiten. Was das alles kosten wird? Berechnet sei es, sagt Kraft. Aber eine Summe nennt sie nicht. „Wir halten das für bezahlbar.“
Ähnlich unter Beschuss wie ihr Parteikollege und Innenminister Ralf Jäger, dem Kraft demonstrativ den Rücken stärkt, steht nur noch Schulministerin Sylvia Löhrmann (Grüne). Aber auch hier kaum Distanzierung: „Wir arbeiten als Landesregierung sehr gut zusammen.“
Bei einem Thema springt sie Löhrmann sogar geradezu zur Seite. Inklusion sei kein Thema von Rot-Grün, sondern hätte seit Inkrafttreten der UN-Behindertenrechtskonvention im Jahr 2009 von jeder Landesregierung angegangen werden müssen. Schon gebe es erste Klagen, weil die Umsetzung noch hake. „Mich ärgert, dass wir nur über schulische Inklusion reden, obwohl das Thema viel breiter ist.“ Für alle sei es aber neu und daher schwierig. „Es läuft noch nicht reibungslos. Man muss noch nachsteuern.“
Nur beim Thema Abschiebung nach Afghanistan will Kraft sich auf die Ablehnung der Grünen nicht festlegen lassen. Nach ihren Angaben sind im vergangenen Jahr 459 abgelehnte Asylbewerber aus Afghanistan freiwillig aus NRW in ihr Heimatland zurückgekehrt. Dazu gab es 14 Abschiebungen. Die Prüfung der Sicherheitslage dort sei nicht Sache der Landesregierung. Der Erlass der Innenministerkonferenz, der die vornehmliche Abschiebung von Straftätern, Gefährdern und alleinstehenden Männern vorsieht, hat für sie weiter Gültigkeit. „Ich sehe keinen Anlass, an der Erlasslage etwas zu ändern.“
Da ist er wieder, Krafts Schutzschild, an dem alles abperlt, was gefährlich werden könnte. Die Linke sieht sich geläutert und koalitionsbereit? Kraft bleibt bei ihrem „Weder regierungswillig noch regierungsfähig“: „An meiner Einschätzung hat sich nichts geändert.“ Kann sich nach der Wahl etwas am Nichtraucherschutz ändern? Ein schlichtes „Nein“.
Überhaupt diese ganzen Spekulationen über die Zeit nach der Wahl, diese Mutmaßungen und Umfrageergebnisse, die doch nichts anderes sind als Wasserstandsmeldungen mit kurzer Verfallsdauer: Wenn sie Hannelore Kraft in irgendeiner Weise beschäftigen, dann will sie sich das nicht anmerken lassen. Der Blick in die Karten soll ihr vorbehalten bleiben. Allen anderen bleibt nur die Frage, was die Ministerpräsidentin eigentlich wirklich denkt.