Düsseldorf Der „Sprayer von Zürich“ im Museum
Düsseldorf (dpa) - Sekundenschnell sprüht Harald Naegeli Strichmännchen an triste Hauswände. Vor über 30 Jahren war das in Zürich noch kriminell, und der freche „Sprayer von Zürich“ saß dafür sechs Monate im Gefängnis.
Heute ist der 76-jährige Naegeli ein international geachteter Künstler, wird als Pionier der Street Art gefeiert und nun mit einer umfassenden Ausstellung in seiner „Exil“-Heimat Düsseldorf geehrt.
Unter dem mehrdeutigen Titel „Der Prozess“ werden von Freitag bis zum 1. Januar im Stadtmuseum Düsseldorf Fotos von Naegelis Strichfiguren aus mehreren Jahrzehnten, ein Nachbau seines Ateliers, aber auch Prozessakten und knapp 300 Züricher Polizeifotos aus den 70er Jahren gezeigt. Auf den Aufnahmen sind Männchen, Augen, Blumen, Kraken und allerlei Strichwesen zu sehen, die Hauswände und graue Betonmauern bevölkern. Inzwischen hütet das Züricher Kunsthaus das einstige polizeiliche Beweismaterial in seinem Archiv.
Die blitzschnelle Graffiti-Kunst ist aber nur die eine künstlerische Seite Naegelis. Die andere Seite, das sind mit feinster Tuschefeder gezeichnete „Wolkenbilder“, an denen Naegeli teilweise schon seit Jahrzehnten arbeitet und die nie abgeschlossen sind. „Urwolken“ nennt Naegeli die Bilder aus Zigtausenden millimeterlangen Strichen und winzigen Punkten und Häkchen. „Die Urwolke ist der Versuch, sich der Unsterblichkeit zu nähern“, sagt er am Mittwoch vor Journalisten.
Naegelis so lebendig wirkende Strichfiguren, die rennen, ziehen, sich strecken und immer in Bewegung scheinen, sind der Gegenpol zu den Wolken. „Das ist mehr Meditation als Aktion“, sagt der Künstler. In seinem Atelier wandere er immer zwischen einem „Kranz aus Staffeleien“ umher und arbeite an den Wolken.
Rund 400 Wolkenbilder habe er in Düsseldorf begonnen, verrät Naegeli. Auf den Rückseiten notiert er jedes Datum, an dem er an dem jeweiligen Bild gearbeitet hat. Die Strichfiguren seien blitzschnell gemalt, sagt Naegeli. „Die Urwolke aber ist eine endlose Zeichnung, die einen Schluss erst mit meinem Tod findet.“
Die archaisch anmutenden Strichmännchen sind für Naegeli dagegen eine „Rückbesinnung auf den Ursprung der Zeichnung“, auf die Höhlenbilder der Eiszeit-Jäger. Die Linie ist für ihn eine „Extase“ und „eine einmalige Dynamik der Bewegung“.
Naegeli wurde in Zürich geboren, der Wiege des Dadaismus. Kein Wunder, dass Naegeli die Ober-Dadaisten Kurt Schwitters und Hans Arp als Vorbilder nennt und einige kleine Dada-Collagen in die Ausstellung eingefügt hat. Mit den Dadaisten hat Naegeli den Protest gegen die bürgerliche Malerei und den Kunstbetrieb gemein. Ganz besonders faszinierten ihn die „Klebebilder“ von Schwitters, sagt er. Auf der Kunstgewerbeschule in Zürich habe er einst 500 eigene Klebebilder erstellt, von denen es noch 50 gebe. Einige wenige sind in der Ausstellung zu sehen sowie auch Naegeli einziges Ölgemälde.
Naegeli ist aber auch ein Meister der Zeichnung und zählt Joseph Beuys und Paul Klee zu seinen Vorbildern. Sein Skizzenbuch hat der „Sprayer“, der auch an der Ècole des Beaux Arts in Paris studierte, immer dabei. Es liegt auch bei der Pressekonferenz in Düsseldorf vor ihm auf dem Tisch.
Als „Sprayer von Zürich“ gilt Naegeli als Vorläufer von Künstlern wie Keith Haring oder Banksy, dessen subversive Sprühbilder heute in den Städten unter Plexiglas geschützt werden. Dass Naegeli aber aus seiner Anonymität herauskommt, bereitwillig seine Kunst erklärt und sogar sein Atelier im Museum nachbaut, ist ungewöhnlich. Banksy hält seine Identität immer noch erfolgreich geheim.