Die Queen als mitfühlende Zuhörerin in Bergen-Belsen

Bergen-Belsen (dpa) - Als die Queen und ihr Mann Prinz Philip neben dem Jüdischen Mahnmal der Gedenkstätte Bergen-Belsen aus ihrem Geländewagen steigen, verstummt das Gedröhne eines Polizeihubschraubers.

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Vögel zwitschern und der Wind streicht sanft durch die Gräser.

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An solch einem Tag ist es schwer vorstellbar, dass genau an diesem Ort mehr als 70.000 Menschen ums Leben kamen. Es ist ein historischer Moment: 70 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs betritt die britische Königin Elizabeth II. zum ersten Mal ein ehemaliges Konzentrationslager.

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Der Leiter der Gedenkstätte, Jens-Christian Wagner, führt das Königspaar zu einem Gedenkstein für Anne Frank. Das jüdische Mädchen, das posthum mit seinen Tagebüchern weltbekannt wurde, starb kurz vor der Befreiung von Bergen-Belsen an Typhus. Den ersten britischen Soldaten, die am 15. April 1945 das völlig überfüllte Lager betraten, fanden Tausende von Leichen. Die meisten Häftlinge waren verhungert oder Seuchen erlegen.

Die Queen hört dem Gedenkstättenleiter konzentriert zu und nickt mehrmals. Es ist der persönliche Wunsch der 89-Jährigen, im früheren KZ einen Kranz zur Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus niederzulegen und mit Holocaust-Überlebenden und Veteranen der britischen Armee zu sprechen. Der Besuch zum Abschluss ihrer fünften Staatsvisite in Deutschland sollte so privat wie möglich sein.

Mantel und Hut der Queen sind grau, sie trägt schwarze Handschuhe. Mit gesenktem Kopf bewegt sich Europas dienstälteste Monarchin zwischen den Mahnmalen und Massengräbern. Bergen-Belsen ist ein großer Friedhof mit rund 15 000 Toten. Kein Wachturm, keine Baracke erinnert hier mehr an den Nazi-Terror. Die Briten brannten nach der Befreiung die Gebäude nieder, weil sie die Ausbreitung von Seuchen fürchteten.

Anita Lasker-Wallfisch (89), Rudi Oppenheimer (83) und Stefan Hertz (90) haben Bergen-Belsen überlebt und dürfen an diesem Tag die Queen treffen. Genauso wie drei Veteranen der britischen Armee, die bei der Befreiung dabei waren. Sie sitzen unter einem weißen Zeltdach vor der Wand, auf der Inschriften in verschiedenen Sprachen an die Opfer aus allen Teilen Europas erinnern. Der Gedenkstättenleiter stellt jeden einzelnen der ehemaligen Häftlinge und Soldaten vor. Die Queen wendet sich jedem aufmerksam zu.

„Ich habe ihr erzählt, dass das hier bei der Befreiung ein einziges Feld von Leichen war“, sagt der 96-jährige Eric Brown nach der Begegnung mit der Monarchin. Captain Brown hatte als einer der ersten Befreier das Lager betreten. Die Queen habe ihm geantwortet, „es muss der Horror gewesen sein“, erzählt er.

Anita Lasker-Wallfisch kann sich nicht erinnern, welche Worte sie mit der Königin gewechselt hat. „Es ging so schnell.“ Sie sei aber glücklich, dass sie die Tausenden Toten repräsentieren konnte, sagt die 89-Jährige. „Wir sind die Stimmen der Menschen, die starben“, betont Lasker-Wallfisch, die wegen ihres musikalischen Talents das Konzentrationslager Auschwitz überlebt hat. Bevor sie nach Bergen-Belsen gebracht wurde, spielte sie in Auschwitz Cello im Lagerorchester. Nach der Befreiung unterstützte sie die Briten gemeinsam mit ihrer Schwester als Dolmetscherinnen.

Für Anita Lasker-Wallfisch ist es schon die dritte Begegnung mit der Queen. Zum Besuch der Monarchin in Bergen-Belsen sagt sie: „Es ist eine Geste, wenn auch eine ziemlich späte. Ich finde es gut, dass sie es macht.“ Nach dem Krieg habe lange Schweigen über die NS-Verbrechen geherrscht.

Rund 30 Minuten dauert der geschichtsträchtige royale Besuch. Dann verschwinden Elizabeth II. und Philip in dem schwarzen Geländewagen und fahren zum Militärflugplatz. Gedenkstättenleiter Wagner ist positiv überrascht: „Die Queen war viel interessierter, als ich es mir vorgestellt hatte. Man merkte, dass da nicht nur ein Staatsoberhaupt, sondern eine Zeitzeugin vor Ort war.“

Der Oberrabbiner der Jüdischen Gemeinde in Großbritannien, Ephraim Mirvis, ist nach der Begegnung mit Elizabeth II. sichtlich bewegt: „Hier in Bergen-Belsen war die Hölle auf Erden“, sagt er. „Die Wunden sind immer noch offen. Der Besuch der Queen ist eine Anerkennung des Leidens. Die jüdische Welt fühlt sich sehr geehrt.“