Die zwei Seiten der Charlotte Gainsbourg
Berlin (dpa) - Längst gehört Charlotte Gainsbourg (40), die Tochter von Jane Birkin und Serge Gainsbourg, zu den faszinierendsten europäischen Top-Schauspielerinnen.
Die Leinwand aber ist nicht ihre einzige Spielwiese: Seit einigen Jahren ist Charlotte Gainsbourg auch als Sängerin äußerst erfolgreich. Lange hat es gedauert: Nachdem sie als Teenager mit ihrem Vater solch Skandal erregende Lieder wie „Lemon Incest“ (1984) aufnahm, folgte nach dem Album „Charlotte Forever“ (2006) ein Schweigen von 20 Jahren, das sie schließlich mit „5:55“ (2006) beendete.
Luftig-leicht, verträumt, schwebend, abgründig, atmosphärisch, überirdisch, verletzlich und natürlich ziemlich melancholisch ist „5:55“ geworden, das von dem französischen Duo Air musikalisch hingezaubert wurde. Bei „IRM“ (2009) wurde sie schließlich von Beck unterstützt. Hier klingt Charlotte Gainsbourg nicht mehr ganz so zerbrechlich und elfenhaft. Eher lässig und cool. Aus dem Schatten ihrer übermächtigen Eltern, die sich einst durch „Je t'aime...moi non plus“ stöhnten, hat sie sich nach und nach emanzipiert.
Jetzt also ein Live-Album - „Stage Whisper“ heißt es, auf dem aber gar nicht so viel geflüstert wird. Eher kraftvoll. Für Charlotte Gainsbourg ein ganz besonderes Album, war sie doch am Anfang ihrer Sangeskarriere durch Bühnenangst extrem gehemmt. Überhaupt zieht sie den Schutz der Familie dem öffentlichen Auftritt vor. Wenn sie sich austoben will, dann arbeitet sie mit Lars von Trier („Antichrist“, „Melancholia“).
„Ich will mich mit neuen Herausforderungen dazu bringen, mich selbst zu überwinden“, sagte sie einmal der Zeitschrift „Brigitte“. Und auch für ihre große Tournee im Jahr 2010 ist sie über ihren Schatten gesprungen - ein Akt der Befreiung, der es natürlich verdient, festgehalten zu werden. Wie souverän sie als Sängerin geworden ist, das lässt sich jetzt auf „Stage Whisper“ hören und sehen. Eine komponierte Bühnenshow liefert sie nicht ab, bei Charlotte Gainsbourg reicht die pure Präsenz. Ein bisschen Hippie, ein bisschen Rock'n'Roll: In Leder gekleidet mit weißem T-Shirt erinnert sie durchaus an die frühe Patti Smith. Alles festgehalten auf einer beigefügten Bonus-DVD.
Auf Tournee hatte Charlotte Gainsbourg auch Lieder ihres Vaters interpretiert. Auf „Stage Whisper“ fehlen sie allerdings. Der „Berliner Zeitung“ erklärte sie warum: „Weil es mich zu sehr unter Druck gesetzt hätte, sie aufzunehmen. Ich habe meinen Vater immer auf ein Podest gestellt. Ist doch klar, dass ich mit dieser Einspielung unweigerlich gegen ihn hätte verlieren müssen.“ Da ist er noch, der Schatten des übermächtigen Serge Gainsbourgs, den man wohl doch nicht so leicht abschütteln kann.
Ein Live-Album allein aber sollte es nicht werden, schließlich sei die Tournee schon lang her, meinte Charlotte Gainsbourg in einem von ihrer Plattenfirma verbreiteten Interview. „Also brauchte ich etwas Neues. Und es fühlte sich gut an, dass es ein Album zwischen zwei Alben wurde.“
Acht bisher unveröffentlichte Songs hat sie auf „Stage Whisper“ gepackt, die die beiden Seiten von Charlotte Gainsbourg wunderbar beleuchten. Fordernd und verinnerlicht. Vier Songs sind von Beck, mit dem sie mehr wagen könne, meint Charlotte Gainsbourg. Die knackigen Elektro-Songs „Terrible Angels“ oder „Paradisco“ führen direkt auf den Dancefloor. Knallhartes Zeug mit einem Zug ins Mysteriöse, das Beck da zusammengebraut hat.
Seine melancholischen Kompositionen „All The Rain“ und „White Telephone“ leiten schließlich über zum - eher innerlichen - zweiten Teil der neuen Songs. Auch zur akustischen Gitarre passt die Stimme von Charlotte Gainsbourg ausgezeichnet, wie in dem wunderschönen „Memoir“. Und bei „Got To Let Go“, das zusammen mit Charlie Fink von Noah & The Whale entstand, stehen sogar die seligen Velvet Underground wieder auf.