Technik statt Hund Drohnen als Lebensretter für Rehkitze

Gera (dpa) - Brummend schwebt eine Drohne am frühen Morgen über dem Feld. Eine Wärmebildkamera an der Unterseite macht Temperaturunterschiede auf einem Monitor sichtbar.

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„Ein Reh hat eine Körpertemperatur von 39 Grad Celsius, der Boden ist deutlich kühler“, sagt Dagmar Seidenbacher vom Projekt Rehkitzrettung Gera (Thüringen). So können die Wildretter erkennen, ob sich ein junges Reh im hohen Gras versteckt, das an diesem Tag gemäht werden soll. Dann holen sie das Jungtier vorsichtig heraus und legen es am Feldrand ab. Die Mutter kommt schon kurze Zeit später nach ihrem Kitz gucken. „Familienzusammenführung gelungen“, sagt Andreas Nowack zufrieden, der das Projekt auch fotografisch unterstützt.

Bis zu 100.000 Kitze fänden in Deutschland jährlich den Tod, weil sie bei Mäharbeiten von den Maschinen erfasst würden, berichtet Mithelferin Nicole Elocin. „Wir wollten unbedingt etwas tun, um den Tieren das grausame Schicksal zu ersparen.“ Und so zieht sie mit ihren Mitstreitern in den frühen Morgenstunden los, um ihre Drohne starten zu lassen. In vielen Teilen Deutschlands haben sich ähnliche Projekte gebildet.

Die Drohne aus Gera ist bereits in Thüringen, Sachsen-Anhalt und Sachsen geflogen. Nicht immer ist ihr Einsatz erfolgreich, doch allein in diesem Jahr haben die Helfer fast ein Dutzend Rehkitze aufgespürt und aus Feldern geholt. Die Rehmütter, auch Ricken genannt, legen ihre Kitze im Feld ab und gehen dann auf Nahrungssuche. In den ersten Lebenswochen verfügen die Jungtiere noch nicht über einen natürlichen Fluchtinstinkt, sondern kauern sich reglos auf den Untergrund. So könnten sie leicht von Maschinen erfasst werden.

Eigentlich sollte es die Unfälle mit Rehkitzen gar nicht geben. „Die Landwirte sollen die Jagdpächter immer vor der Mahd informieren“, sagt Elocin. Dies sei aus dem Tierschutzgesetz abzuleiten, wonach niemand ein Wirbeltier ohne vernünftigen Grund töten oder ihm Schmerzen oder Leiden zufügen darf.

„Früher sind Jäger oft mit Hunden losgegangen, um die Kitze zu finden“, erzählt die Gruppe. Heutzutage seien aber immer weniger ausgebildete Hunde im Einsatz. So seien sie schon im Februar zu Jagdpächtern und Landwirten gegangen, um die Drohne als Ersatz anzubieten. „Das bringt doch nichts“, habe es oft geheißen. Doch die Tierschützer ließen sich nicht entmutigen, zumal ihnen der Flug nicht verweigert werden darf. Stundenlang fliegen sie über die Felder, Helfer mit Funkgeräten werden zu den Punkten gelotst, wo sich Kitze verstecken.

Vorsichtig werden die kleinen Rehe dann mit Hilfe dicker Grasbüschel aufgehoben, in einen Karton gesetzt, an den Feldrand getragen und im Schatten abgelegt. „Sie sollen nicht nach Mensch riechen, weil ihre Mutter sie sonst nicht wieder annimmt“, erklärt Nowack. Sind Menschen und Maschinen fort, riefen die Kitze nach ihrer Mutter. Sie holt die Kleinen dann ab.

Komplett ehrenamtlich machen die Rehkitzretter aus Gera und Zeitz (Sachsen-Anhalt) ihren Job, durchstreifen am Morgen stundenlang Felder, um Jungtiere zu retten. Auch ihre Drohne haben sie privat finanziert. Im kommenden Jahr wollen sie eine weitere anschaffen - wenn das Geld für den Flugroboter, Wärmebildkamera und Monitor reicht. Der Bedarf wäre da, schon sind die ersten Buchungen für 2019 eingegangen.

Die Rehkitzrettung per Drohne hat sich bereits in weiten Teilen Deutschlands etabliert. So lassen beispielsweise auch im brandenburgischen Dallgow-Döberitz, in Marktheidenfeld und Nördlingen (beides Bayern), im Schwarzwald oder im Osnabrücker Land Tierschützer, Jagdpächter und Bauern die Fluggeräte aufsteigen. Das Bundeslandwirtschaftministerium (BMEL) hatte im Rahmen des „Forschungsprojekts Wildretter“ ebenfalls entsprechende Technologien entwickelt.