Düsseldorf Düsseldorfer Premiere: Ai Weiwei erklärt seinen Flüchtlingsfilm

Der chinesische Konzeptkünstler Ai Weiwei hat einen Film über Flucht gedreht. Zur Düsseldorfer Premiere stellte er ihn persönlich vor.

Foto: Melanie Zanin

Düsseldorf. Gerade erst wurde Ai Weiwei in der Kategorie „Mut“ mit einem Bambi geehrt. Die Gala in Berlin war zugleich Bühne, um seinen Film „Human Flow“ zu promoten, der am 7. November Deutschlandpremiere feierte. Zurzeit zieht der chinesische Aktionskünstler und Filmer durch Deutschland, um seine bildgewaltige Dokumentation über Flucht und Migration vorzustellen. Vorzugsweise macht er das in kleinen Arthouse-Kinos und stellt sich im Anschluss den Fragen der Zuschauer — so wie am Samstagabend im ausverkauften Düsseldorfer Cinema.

Der in seiner Heimat verfolgte Ai Weiwei lebt seit zwei Jahren als Gastprofessor im Berliner Exil. Für „Human Flow“ hat er im großen Team mit 200 Leuten zusammengearbeitet. Die Filmemacher haben Flüchtlingsbewegungen recherchiert, literarische und religiöse Texte zusammengetragen. Scheinbar wahllos werden sie eingeblendet. Innerhalb eines Jahres hat Weiwei Camps, Heime und Auffanglager auf der ganzen Welt besucht. Gedreht wurde in 23 Ländern: im Libanon, in Bangladesh, Griechenland und Mexiko. Er befragte auch Flüchtlinge im Containerdorf im ehemaligen Flughafen Tempelhof. Erspart wird dem Zuschauer nichts: Er sieht die brennenden Ölfelder vor Mossul, einen toten Kinderkörper, abgebrannte Hütten, Menschen, die in Zelten im Dauerregen von Idomeni ausharren. Aus 900 Stunden Rohmaterial wurden 140 Minuten „Human Flow“.

Entstanden ist ein Film mit großer Reichweite und großem Anspruch. Ai Weiwei will die Flüchtlingskrise global erfassen. Das kann nur ansatzweise gelingen, eine Lösung kann er freilich nicht anbieten. Er will die Filmbesucher einfach auf seine Reise mitnehmen. „Es ist ein Film über die Bedingungen, unter denen Flüchtlinge leben, aber eigentlich geht es um unsere menschliche Situation heute“, sagt Ai Weiwei im Gespräch und plädiert für mehr Menschlichkeit. Er will die globale Flüchtlingskrise verstehen, so übersetzt es seine Dolmetscherin im Cinema ins Deutsche. Der chinesische Regimekritiker will die Notlage anderer so betrachten, als ob es die eigene wäre: „Was ich nie verstanden habe, ist nicht verstanden zu werden. Wir müssen Verständnis füreinander zeigen.“

Der Kinobesucher zwischen Gummibärchen und Grolsch muss sich einlassen auf diesen Film, sich orientieren. Die Bilder von Menschen, die auf der Flucht sind, ähneln sich. Weil man nichts über das Schicksal Einzelner erfährt, und die Menschen überwiegend als Masse dargestellt werden, heißt das aber nicht, dass es dem Film an Feingefühl fehlt. Weiwei schafft ungewöhnliche Bilder, man sieht Aufnahmen abseits der typischen Nachrichten: ein Kind, das freudestrahlend mit einem Salat herumläuft, eine Giga-Ladestation für Handys oder einen Papiervogel, der im Wind flattert.

Ob so ein Kinofilm, in dem die Ursachen keine Erwähnung fänden, der richtige Rahmen sei, um auf die Flüchtlingskrise zu reagieren, will ein Zuschauer wissen. Doch, ist sich der Künstler sicher. „Am Anfang hatte ich auch keinen Plan, aber wusste, was ich nicht wollte. Ich wollte diese Menschlichkeit finden“, sagt Ai Weiwei. „Jeder einzelne muss etwas tun, es hat alles mit uns zu tun.“

Die fehlende Dramaturgie des Films kann man kritisieren. Dass sich der 60-jährige Künstler zum Teil selbst inszeniert (wie er etwa in einem Flüchtlingslager darüber scherzt, dass man Pässe tauschen könnte) kann man ihm nicht vorwerfen, es lockert die Dokumentation auf und zeigt, wie Ai Weiwei Menschen begegnet. Das kann man gut oder schlecht finden.

Im Cinema jedenfalls ist Weiwei aufmerksamer Zuhörer, seine Antworten wählt er mit Bedacht, auch wenn die Fragen ihm gewiss schon vielfach gestellt wurden. Der Konzeptkünstler trägt ein weißes Hemd und schwarzes Sakko, wirkt geduldig, fast ein wenig schüchtern.

Der Film zeigt neben viel Elend auch die Schönheit der Erde, Bilder von Drohnenkameras, die wie Zugvögel über Landschaften, Menschen und Meer gleiten. Wie diese ästhetischen Aufnahmen zum Thema passten, fragt ein Besucher. Ai Weiwei: „Ich wollte eine andere Perspektive zeigen. Nähe und Distanz aufheben.“

Von Kinobetreiber Kalle Somnitz wird Ai Weiwei zum Schluss noch mit der Düsseldorfer Spezialität Killepitsch beschenkt, im Foyer stellt er sich weiteren Fragen und lässt Selfies mit sich machen — Dokument der Begegnung mit einem Menschenfreund.