Ein turbulentes Buchjahr: Von Alexijewitsch bis Witzel
Berlin (dpa) - Swetlana Alexijewitsch, Günter Grass, Dörte Hansen, Michel Houellebecq. Das sind einige der herausragenden Namen des vergangenen Bücherjahres - aus sehr unterschiedlichen Anlässen.
DIE ÜBERRASCHUNG: Die Literaturkritik lobt das Buch als tolles Debüt: „Altes Land“ von DÖRTE HANSEN erschien im Februar. Seit Ende März steht der Roman über Flucht, die Suche nach Heimat und dem Leben auf dem Land auf den Bestsellerlisten, lange Zeit ununterbrochen auf Platz eins. Sie selbst habe niemals mit einem solchen Erfolg gerechnet. „Eher hätte ich einen Sechser im Lotto erwartet - und dabei spiele ich nicht einmal Lotto“, sagte Hansen der Deutschen Presse-Agentur.
Mehr als 50 Jahre nach dem Welterfolg „Wer die Nachtigall stört“ erschien der zweite Roman der Pulitzer-Preisträgerin HARPER LEE. Die „New York Times“ feierte die Veröffentlichung von „Geh hin, stelle einen Wächter“ als „eines der größten Ereignisse im Verlagswesen seit Jahrzehnten“. Das Buch hatte Lee bereits vor „Wer die Nachtigall stört“ geschrieben, das Manuskript war lange verloren geglaubt.
Mehr als ein Jahrzehnt nach dem Tod des schwedischen Autors Stieg Larsson kam ein umstrittener vierter Band der weltberühmten Millennium-Krimireihe auf den Markt. Der Thriller „Verschwörung“ aus der Feder des Schweden DAVID LAGERCRANTZ erzählt die Geschichte um den Journalisten Mikael Blomkvist und die geniale Hackerin Lisbeth Salander weiter. Zeitgleich hatten weltweit 26 Verlage das Buch herausgebracht. Während alte Freunde von Larsson von „Grabschändung“ und „Zirkus“ sprachen, feierte andere den Roman als eigenständiges Meisterwerk. Lagercrantz kündigte ein Fortsetzung an.
DER TOD: Der Literaturnobelpreisträger GÜNTER GRASS („Die Blechtrommel“) starb am 13. April im Alter von 87 Jahren in Lübeck. Grass zählte zu den bedeutendsten deutschen Schriftstellern der Gegenwart. Etwa ein halbes Jahr später erschien sein letztes Buch „Vonne Endlichkait“ (hochdeutsch: „Von der Endlichkeit“).
Seine Markenzeichen waren die widerspenstige Mähne und der eindrucksvolle Bart. Der Schriftsteller und Übersetzer HARRY ROWOHLT starb am 15 Juni im Alter von 70 Jahren in Hamburg. Er war auch Vorleser, Botschafter des irischen Whiskeys und seit 20 Jahren der „Penner“ aus der Dauerserie „Lindenstraße“.
Zwölf Jahre lang hatte HELLMUTH KARASEK neben Marcel Reich-Ranicki die ZDF-Sendung „Das literarische Quartett“ geprägt. Der Literaturkritiker und Schriftsteller starb am 29. September im Alter von 81 Jahren.
Kurt Wallander machte ihn berühmt: Der schwedische Krimi-Autor HENNING MANKELL starb am 5. Oktober in Göteborg. Mankell wurde 67 Jahre alt. Er war schwer krebskrank. Kurz zuvor war sein Buch über seine Krankheit erschienen. In „Treibsand - Was es heißt, ein Mensch zu sein“ schrieb er über sein Leben nach der erschütternden Diagnose. Das Buch wurde potshum ein Bestseller.
DER ANSCHLAG: Das Jahr begann mit einem fürchterlichen Attentat in Paris. Einen indirekten Bezug gab es zu dem französischen Autor MICHEL HOUELLEBECQ: Sein umstrittener Roman „Unterwerfung“ über einen islamischen Präsidenten in Frankreich im Jahr 2022 war am 7. Januar in Frankreich erschienen. Am selben Tag ermordeten zwei islamistische Attentäter in der Redaktion von „Charlie Hebdo“ in Paris zwölf Menschen. Das Satireblatt hatte eine Karikatur über den Autor auf der Titelseite.
DIE EHRUNG: Der Literaturnobelpreis ging an die weißrussische Journalistin und Schriftstellerin SWETLANA ALEXIJEWITSCH. Sie war erst die 14. Frau, die die Auszeichnung gewann, die als wichtigster Literaturpreis der Welt gilt. Als herausragendes Werk der gelernten Journalistin gilt „Secondhand-Zeit“ - eine Sammlung von Stimmen über schlimme Erfahrungen im kommunistischen Experiment in der Sowjetunion. Zum ersten Mal in der über 200-jährigen Geschichte der Schwedischen Akademie stand eine Frau an der Spitze der Jury für den Nobelpreis - die Literaturwissenschaftlerin SARA DANIUS.
Als erster Lyriker hat der Berliner Autor JAN WAGNER den renommierten Preis der Leipziger Buchmesse gewonnen. Er erhielt die mit 15 000 Euro dotierte Auszeichnung für seinen Band „Regentonnenvariationen“.
Der deutsch-iranische Schriftsteller und Orientalist NAVID KERMANI wurde mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet. Es sei ein Reisender zwischen den Kulturen und Weltreligionen.
Der Ingeborg-Bachmann-Preis ging an die Bamberger Lyrikerin und Autorin NORA GOMRINGER. Die Jury im österreichischen Klagenfurt zeichnete sie für einen Text über einen tragischen Vorfall aus.
Der alte Provokateur der deutschen Literatur, der Schriftsteller RAINALD GOETZ, bekam den Georg-Büchner-Preis. Der mit 50 000 Euro dotierte Preis gilt als wichtigste literarische Auszeichnung in Deutschland. Goetz habe sich „mit einzigartiger Intensität zum Chronisten der Gegenwart und ihrer Kultur gemacht“.
Für einen Roman über die alte Bundesrepublik erhielt FRANK WITZEL den Deutschen Buchpreis. Das Buch mit dem Titel „Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969“ wurde als beste literarische Neuerscheinung des Jahres im deutschsprachigen Raum ausgezeichnet. Der Autor schildert darin in einer Vielzahl von Episoden und Fragmenten die Nachkriegszeit aus der Sicht eines 13-Jährigen im Wiesbadener Ortsteil Biebrich.
AUSBLICK: Der Buchhandel sieht sich trotz eines leichten Umsatzrückgangs auf einem guten Weg. Dem deutschen Buchmarkt geht es nach Angaben des Börsenvereins gut. Das Ergebnis vorausgegangener Jahre sei geprägt gewesen von einzelnen, besonders starken Titeln wie „Harry Potter“ oder „Shades of Grey“. „Deshalb sehen wir ein leichtes Minus auch mit Gelassenheit, weil es lediglich zeigt, dass wir diese wirtschaftlichen Ausnahmetitel in diesem Jahr nicht haben.“ Wo also kommt der nächste Weltbestseller her?