Er kennt das Geheimnis der Bohne

Der Bensberger Michael Gliss ist Deutschlands erster Kaffee-Sommelier. „Genuss ist erlernbar“, sagt er.

Bergisch Gladbach. Kaffee ist das Lieblingsgetränk der Deutschen - noch vor Bier. Doch während Brauen und Beurteilung des "Nationalgetränks" wie eine Wissenschaft betrieben wird, findet die Bohne kaum Beachtung. Michael Gliss will das ändern. Seine Mission: den Deutschen Kaffee-Trinkkultur zu vermitteln. Der 44-Jährige ist Deutschlands erster Kaffee-Sommelier.

Der Mann aus Bensberg im Bergischen Land ist eigentlich bestens geeignet fürs Fernsehen. Er trägt eine Brille mit roten Bügeln, den oberen Hemdknopf lässig geöffnet unter dem Sakko, das Haar jugendlich wuschelig. Er hat ein gewinnendes Lächeln und sagt Sätze wie: "Wir trinken Kaffee, ohne es zu merken."

Dass Essen und Trinken in den vergangenen Jahren als Lifestyle wiederentdeckt wurde, ist gut für Michael Gliss. So darf er seine Mission auch im Fernsehen fortsetzen. Vorerst allerdings nur im Spartenkanal TV-Gusto.

Unabhängig davon floriert das Unternehmen Gliss, das der Sommelier gemeinsam mit seiner Frau Claudia führt. Die eigene Kaffeebar in Bergisch Gladbach hat Kultstatus erlangt, am Kölner Neumarkt gibt es im Caffee Contor die eigenen Spezialröstungen aus dem Familienbetrieb, der Firmengründer hält jährlich bis zu 100 Genuss-Seminare von Kiel bis Konstanz.

Rückblick: Als 19-Jähriger will er nach dem Abi einfach weg, arbeitet in einem Ferienzentrum an der Cote d’Azur. Dort soll er Kaffee und Cappuccino zubereiten. Wie das richtig geht, können ihm nicht mal ausgebildete Fachkräfte erklären. Also zieht er, über den Umweg einer Hotellerie-Ausbildung, nach Wien, in die Hochburg der Röstkultur. Am dortigen Institut für Kaffee-Experten erwirbt er 2001 das Kaffee-Diplom. In der Prüfung geht es um Rösten und Kaffeebewertung.

Mehr als tausend Aromen kenne der Kaffee-Sommelier, sagt Gliss. Da brauche es neben einem feinen Näschen und sensiblen Geschmacksnerven vor allem eines: tägliches Training. "Genuss ist erlernbar", sagt er. Bei jeder neuen Lieferung von Kaffeebohnen zückt er sein Notizbuch und trägt Eigenschaften wie Jahrgang, Würze und Mahlgrad ein. "Man muss neugierig bleiben und Mut haben, etwas Neues auszuprobieren", ist Gliss überzeugt.

Darum ist jede Tasse Kaffee ein neuer Genuss für den Fachmann. Drei bis vier sind es am Tag. "Ich beginne meistens mit einem Espresso, zwischendurch trinke ich auch mal einen Filterkaffee." Trotz der Leidenschaft für die Bohne schätzt er auch Tee, Wein und Schokolade. "Alles, was man genießen muss." Was den guten vom schlechten Kaffee unterscheidet, will er jedem selbst überlassen. "Jede Bohne hat ihren eigenen Charakter." Aber auf die Zubereitung komme es an.

Ausbildung Am Ersten Österreichischen Institut für Kaffee-Experten-Ausbildung in Wien stehen für angehende Sommeliers neben Historie des Kaffeeanbaus, Rösttechniken und Bewertung von Kaffee auch Psychologie und Fremdsprachen auf dem Stundenplan. Derzeit gibt es in Europa etwa 50 Diplom-Kaffee-Sommeliers.