Endlich der erhoffte Coup Erfolg für Regisseur Peter Sellars in Salzburg

Salzburg (dpa) - Nachdem sich landauf, landab die Stadt- und Staatstheater an der Flüchtlingskrise abgearbeitet haben, gab es jetzt auch bei den Salzburger Festspielen eine Lektion in Sachen Willkommenskultur.

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Alles schon mal da gewesen, könnte man meinen. Doch dank zweier visionärer Künstler, dem US-Starregisseur Peter Sellars und dem griechischen Ausnahmedirigenten Teodor Currentzis präsentierte sich diese Auseinandersetzung mit den brennend aktuellen Themen Migration und Terrorismus im Gewand der selten gespielten Mozart-Oper „La Clemenza di Tito“ („Die Milde des Titus“) auf hohem Niveau. Das Premierenpublikum in der Felsenreitschule war am Donnerstagabend völlig aus dem Häuschen.

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Mozarts „Tito“, ein mit heißer Nadel komponiertes Auftragswerk zur Krönung Kaiser Leopolds II. von Österreich zum böhmischen König, war schon bei der Prager Uraufführung im Jahre 1791 nicht mehr auf der Höhe der Zeit. In Frankreich war zwei Jahre zuvor die Französische Revolution ausgebrochen. Und Mozart arbeitet in seinem Todesjahr zeitgleich an der „Zauberflöte“, einer Oper des anbrechenden demokratischen Zeitalters; so etwa das genaue Gegenteil zur, zumindest der Form nach, streng höfischen Huldigungsoper.

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Eine Opera seria wie der im ersten nachchristlichen Jahrhundert in Rom angesiedelte „Tito“ ist vom heutigen Lebensgefühl denkbar weit entfernt. So ließ Sellars, der alte Wilde, der in Salzburg vor zwei Jahrzehnten mit seiner legendären Inszenierung von Olivier Messiaens „Saint Francois d’Assise“ Furore gemacht hatte, keinen Stein auf dem anderen. Das Libretto des Barockdichters Pietro Metastasio ließ er, weil innigst mit der Musik verschränkt, zwar in seinen Grundzügen unangetastet, legte ihm jedoch einen neuen Subtext zugrunde, der das Geschehen ins Heute katapultiert.

Sesto, der untreue Freund des römischen Kaisers Tito, wird darin zum Flüchtling, der in den Terrorismus abgleitet. Angestiftet von Titos einstiger Geliebten Vitellia, die mit ihm noch eine Rechnung offen hat, verübt er ein Attentat auf seinen herrschaftlichen Gönner, der ihn zusammen mit seiner Schwester Servilia eigenhändig aus dem Flüchtlingscamp ins Land holte. Tito will die beiden zuerst hinrichten lassen, besinnt sich dann jedoch auf die Prinzipien der Humanität und begnadigt sie. Diesen Gnadenakt bringt Sellars in Verbindung mit dem nationalen Versöhnungswerk des einstigen Widerstandskämpfers und späteren südafrikanischen Staatschefs Nelson Mandela, schon zu Lebzeiten Legende eines friedlichen Ausgleichs zwischen einstigen Todfeinden.

Noch eine Überraschung: Viele Protagonisten dieser konsequent interkulturellen Inszenierung sind Schwarze. Tito wird von dem US-amerikanischen Tenor Russell Thomas verkörpert, Vitellia von der südafrikanischen Sopranistin Golda Schultz, und Willard White, ein bekannter, dunkelhäutiger Wotan in Richard Wagners „Ring des Nibelungen“, ist als Titos Geheimdienstchef Publio zu sehen. Ausgerechnet Sesto, der Flüchtling und Terrorist, ist hellhäutig und wird von der französischen Mezzosopranisten Marianne Crebassa verkörpert. Ein Perspektivenwechsel, der zu denken gibt.

Sellars Bühnenbilder, der Bildhauer und Installationskünstler George Tsypin vertraut ganz auf das Ambiente der Felsenreitschule. Eine Kulisse im eigentlichen Sinne gibt es nicht, nur geheimnisvoll auf- und niederfahrende Stelen, die mal an die rauchgeschwärzten Ruinen von Aleppo, mal an die glitzernden Hochhäuser einer reichen Metropole erinnern. Der tödlich verwundete Tito liegt im Hightech-Krankenbett einer Intensivstation, bevor er sich die Infusionen aus den Armen reißt, um zu sterben. Am Ende steigt aus dem Untergrund ein Wald geheimnisvoll blinkender Glaspfosten auf, die an jene Poller erinnern, mit denen auch der Festspielbezirk gegen mögliche Terrorakte abgesichert ist. Beklemmend.

Mindestens ebenso radikal wie die Regie agierte Teodor Currentzis, der junge Wilde, am Pult seines famosen Originalklangorchesters musica Aeterna aus dem russischen Perm, von wo aus er die Klassikszene aufmischt. Schon äußerlich ist Currentzis mit seinem Punkoutfit - hautenge, schwarze Jeans, Ohrring, schwere Stiefel mit roten Schürbändern - eine Ausnahmeerscheinung mit einem nicht unerheblichen Hang zur Selbstinszenierung. Aber er ist alles andere als ein Schaumschläger, zaubert mit seinem Orchester und dem ebenso beeindruckenden musica Aeterna Chor einen subtil atmenden Mozartklang, der weit entfernt ist von jeder dogmatischen Originalklangmotorik.

Die vielleicht etwas spröde Partitur des Tito reicherte er mit anderen Stücken des Meisters an. Nach der ergreifenden Arie des Sesto am Ende des ersten Aktes, einem geradezu magischen Stelldichein mit einem auf der Bühne und sogar im Liegen spielenden Klarinettisten, erklingen Adagio und Fuge c-Moll KV 546, ein düsteres Stück, während Sesto und seine Terroristenkumpels beim Bombenbasteln zu sehen sind. Zum Tod des Tito, nach dem finalen Lobpreis des gütigen Herrschers, gibt es die ebenso düstere Maurerische Trauermusik. Da ist aus der Jubeloper längst ein Requiem geworden.