Fähre „Sewol“ hatte vor Unglück Problem mit Ruder
Seoul (dpa) - Südkorea trauert um die voraussichtlich 300 Toten des verheerenden Fährunglücks vor gut einer Woche. Taucher verstärkten am Donnerstag die Suche nach Opfern in der gekenterten Fähre „Sewol“, da wieder gefährliche Strömungen und schlechtes Wetter drohen.
Die Hoffnung, noch Überlebende aufzuspüren, hat sich zerschlagen, da keine Luftblasen gefunden wurden. Bei der Ursachensuche gehen die Ermittler sowohl einem möglichen Defekt an der Ruderanlage als auch eventueller Überladung nach.
Die Besatzung habe zwei Wochen vor dem Unglück ein Problem an der Steuerung festgestellt und eine Reparatur beantragt, berichtete der Fernsehsender Arirang. Die Ruderanlage habe „kein Strom“ gemeldet. Der Defekt sei aber offenbar nicht behoben und die Fähre nicht aus dem Verkehr gezogen worden. Die Ermittler gehen Problemen am Ruder nach, weil eine abrupte Kursänderung dazu geführt haben könnte, dass die Ladung verrutschte und das Schiff in Schieflage geriet.
Die Ermittler überprüfen auch, ob die Fähre möglicherweise überladen war. Wie das „Wall Street Journal“ berichtete, war die Fähre nur für 987 Tonnen Fracht zugelassen, soll aber nach eigenen Angaben 3608 Tonnen an Bord gehabt haben. Bei den Bergungsarbeiten haben Taucher bis Donnerstagabend 175 Leichen geborgen. 127 der 476 Passagiere wurden noch vermisst, unter ihnen viele Schulkinder. Das Schiff war am 16. April havariert.
Erschüttert nahmen Schüler der Danwon Oberschule in Ansan bei Seoul Abschied von ihren getöteten Klassenkameraden, als der Unterricht am Donnerstag wieder aufgenommen wurde. Ein schwarzer Leichenwagen mit einem Mädchen in einem Sarg fuhr fünf Minuten lang über das Schulgelände, wie die Nachrichtenagentur Yonhap berichtete. An der Mauer neben dem Schultor hatten Schüler auf buntem Papier ihre Abschiedsgrüße notiert. Zahlreiche Sträuße mit weißen Chrysanthemen, der asiatischen Trauerblume, lagen davor am Boden.
„Ich war meist sehr ruhig diese Woche“, sagte eine Mitschülerin. „Aber auf dem Weg zur Schule bin ich sehr traurig geworden und war untröstlich.“ Etwa 250 Opfer und Vermisste waren Teenager, die zu einem Schulausflug auf die südliche Urlaubsinsel Cheju unterwegs waren. „Während die Schule geschlossen war, habe ich nur im Fernsehen die Nachrichten verfolgt. Ich konnte mich nicht auf das Lernen konzentrieren“, sagte eine Schülerin laut Yonhap. „Nach dem Unglück war ich einen Tag lang völlig entgeistert.“
Wegen der günstigen Strömungsbedingungen am letzten Tag der Nippzeit, einem viertägigen Zeitraum mit besonders niedrigem Tidenhub, wurde am Donnerstag die bislang größte Zahl von Tauchern und Bergungskräften eingesetzt, wie südkoreanische Medien berichteten. Am Wochenende drohen sich auch die Wetterbedingungen vor der Südwestküste zu verschlechtern. Die Suche konzentriert sich auf das dritte und vierte Deck des Schiffes, wo besonders viele Opfer vermutet werden.
Im Mittelpunkt der Ermittlungen stehen auch die Reaktion der Besatzung auf das Unglück und vor allem die späte Evakuierung, die als ein Grund für die hohe Opferzahl gilt. Nur 174 Menschen wurden bei dem Unglück am 16. April gerettet. 20 der 29 Crewmitglieder wurden festgenommen, unter ihnen der 68-jährige Kapitän. Gegen die meisten könnte Anklage wegen Vernachlässigung ihrer Pflichten erhoben werden, berichteten südkoreanische Medien. Sieben Crewmitglieder saßen im ersten Rettungsboot.
Die Ermittler nehmen sich auch den Betreiber der Unglücksfähre vor und wollen Vermögenswerte sichern, damit später Schadenersatz gezahlt werden kann. Büros der Reederei Chonghaejin Marine wurden durchsucht. Gegen den Eigentümer Yoo Byung Eun und das Management wird unter anderem wegen Steuerhinterziehung und Untreue ermittelt. Es ist die größte Schiffskatastrophe in Südkorea seit mehr als 20 Jahren. Der Untergang einer überladenen Fähre im Oktober 1993 vor der Westküste hatte 292 Menschenleben gekostet.