Frostiges Vergnügen Fahrrad-Parade im eisigen Moskau
Moskau (dpa) - Die Lippen sind schon leicht blau angelaufen, die Hände zittern. Irinas Schal ist eingefroren. Wenig spricht an diesem verschneiten Tag in Moskau dafür, mehrere Stunden mit dem Fahrrad neben dem Ufer des zugefrorenen Flusses Moskwa durch das Stadtzentrum zu fahren.
Doch Irina ist fest entschlossen. Und sie ist mit dieser Entscheidung nicht alleine: Rund 2000 Menschen radeln bei der Fahrrad-Parade an ihrer Seite durch die Millionenmetropole. Manche haben dabei nicht mehr an als kurze Hosen - und das bei bis zu minus zehn Grad.
Temperaturen unter dem Gefrierpunkt sind für die russische Hauptstadt nichts Neues, eine Fahrrad-Parade hingegen eher schon. Denn in Moskau herrscht in diesem Winter so etwas wie ein Ausnahmezustand. Im Dezember zeigte sich die Sonne in der Metropole lediglich sechs Minuten lang. An einem Wochenende schneite es dann so viel wie in den vergangenen 100 Jahren nicht, russische Medien sprechen von einer „arktischen Invasion“. Die Räumfahrzeuge sind seitdem im Dauereinsatz. Die Schneemassen türmen sich an den Straßenrändern meterhoch, Eis und Matsch haben den Asphalt fest im Griff.
Im Sommer nehmen Zehntausende Menschen an der Parade teil. Im Winter sportelt jedoch nur der harte Kern im Freien - wie die 35-Jährige Irina. „Hier komme ich irgendwie an meine Grenzen: Radfahren im Moskauer Winter ist wie Extremsport“, sagt Irina, die seit vielen Jahren in einer Bank arbeitet.
Organisiert wird die Parade von einer Gruppe junger Menschen. „Unser Ziel ist es, die Hektik aus dem Alltag zu nehmen“, sagt Anna Kusmina, eine der Veranstalterinnen, der Deutschen Presse-Agentur. Auch weil zu Stoßzeiten in der Moskauer Metro sich Zehntausende Menschen durch den Untergrund drängen, gleichzeitig sich ebenso viele Autos durch die Hauptstraßen manövrieren. Der Frust in der Megastadt ist groß: Einer aktuellen Umfrage zufolge verbringen die Menschen rund 3,8 Tage im Jahr im Stau. Auch deshalb setzt Kusmina auf die Radfahrer - und auf Entschleunigung. „Die Parade soll den Menschen zeigen, dass es in Moskau auch eine schnelle und umweltfreundliche Alternative zum Auto gibt, auch im Winter.“
Auch die Rentnerin Nina ist im Winter täglich mit dem Fahrrad unterwegs. „Selbst wenn ich zu Fuß unterwegs bin, rutsche ich regelmäßig auf dem Eis aus. Das Leben ist gefährlich“, sagt sie. „Mein Alltag ist sehr routiniert, zu Hause kann mich wenig überraschen. Die Fahrradparade bringt mir einen kleinen Kick.“ Sie ist schon zum dritten Mal bei der Parade im Winter dabei. Selbst als das Thermometer im vergangenen Jahr minus 27 Grad anzeigte, radelte Nina weiter.
Während die Fahrradkolonne am Verteidigungsministerium und der Kremlmauer vorbei weiter zum Roten Platz zieht, trainiert im bekannten Gorki Park eine Gruppe junger Leute die absolute Entspannung. Mit Mütze und Handschuhen vor der Kälte geschützt, zeigt eine Trainerin langsam die Tai-Chi-Übungen im tiefen Schnee. Ein Fuß nach vorn, die Arme sind gestreckt. Ein Schüler plumpst dabei in den Schneehaufen und lacht. „Wir können den ganzen Winter zu Hause verbringen, heißen Tee trinken und warten, bis es wärmer wird. Doch vielleicht geht dann etwas verloren: Denn Moskau ist auch eine lebenswerte Stadt“, sagt der junge Mann.