Französische Touristen entdecken die geheimnisvollen Teutonen
Die Franzosen entdecken die andere Seite des Rheins als Urlaubsziel — Reiseführer warnen zur Sicherheit vor deutschen Sitten.
Paris/Klein-Paris. So nah und doch so fern. Wenn Franzosen (zum ersten Mal) den Rhein überwinden, bedarf es vieler „Leitplanken“, die vor Entgleisungen und bösen Unfällen schützen. „Fallen Sie nicht über die erste Deutsche her, indem sie sie umarmen und küssen, als sei sie eine alte Bekannte“, rät der aktuelle Deutschland-Reiseführer von „Routard“.
Oder: Dieselbe Pariserin, die im Flirtparadies Frankreich entnervt über die hundertfache Anmache in Bistro, Büro und Bus stöhnt, leidet noch schlimmer, wenn sie in Berlin unbeachtet über den Ku’damm flaniert. „Du denkst zuerst, du bist durchsichtig“, sagt die Journalistin Cécile Calla, die das Deutschland-verstehen-Buch „Tour de Franz“ und einen Berlin-Reiseführer geschrieben hat.
Fremdes Deutschland. Wo der auf Höflichkeit getrimmte Franzose Kritik allenfalls subtil rüberbringt, erlebt er irritiert einen Nachbarn, der frank und frei verletzend empfundene Wahrheiten kundzutun vermag. Die Straße zu überqueren, wenn die Ampel Rot anzeigt, aber kein Auto zu sehen ist: Von solchen Sperenzchen rät der „Routard“ ab — allein schon wegen der heftigen „Bemerkungen“ empörter Mütter. Übers „Dritten Reich“ reden? Vermeiden! Verspätet zu einer Verabredung kommen? Mon Dieu!
Deutschland-Kennerin Cécile Calla bewundert die deutsche Leidenschaft für Umweltschutz und Nachhaltigkeit. Doch wenn politische Korrektheit in Übereifer umschlägt, empfinden viele Franzosen diese Rigorosität als Furcht einflößende Öko-Tyrannei.
Dass die Deutschen immer noch in „Boliden“ mit 200 Sachen über die Autobahn brettern und ihre Innenstädte gleichzeitig in Fußgängerzonen verwandeln, gibt dem „Routard“ ein weiteres Rätsel auf.
Dennoch: Das Reiseland Deutschland ist in Frankreich „in“, die Übernachtungszahlen klettern unaufhörlich. Besonders beliebt sind die drei „B“: Bayern (Bier und Berge), die Szenemetropole Berlin (durchgehend geöffnet und preiswert) und das angrenzende Baden-Württemberg. Ein Geheimtipp: „La Ruhr“, das Ruhrgebiet, das 2010 Kulturhauptstadt Europas war.
Zur Überheblichkeit neigende Franzosen gehen gemeinhin davon aus, dass es jenseits des Rheins — vom Kölner Dom, Neuschwanstein und dem Brandenburger Tor abgesehen — nur sehr, sehr wenige Attraktionen gibt, die es mit Krachern wie Eiffelturm, Versailles und Mont St. Michel aufnehmen können.
Dass sich Düsseldorf gern Klein-Paris nennt, ist in Groß-Paris bestenfalls ein Lacher. Doch dann erfährt der überraschte Leser, dass Deutschland in der Hitparade der Unesco-Weltkulturerbestätten auf Platz 4 rangiert: hinter Italien, Spanien und China, aber vor Frankreich, England und Mexiko. Kommentar: „Belle performance“, gute Vorstellung!