Freerunner Jason Paul: Die Welt ist sein Spielplatz

Der Frankfurter Jason Paul nimmt Hindernisse mit atemberaubenden Sprüngen. Freerunning heißt sein Sport.

Frankfurt/M. An einem normalen Tag macht Jason Paul die verrücktesten Sachen. Er springt von einem Hochhausdach aufs nächste, obwohl sich dazwischen eine Schlucht auftut. Er springt aus dem zweiten Stock auf einen Mini-Sandhaufen. Oder er hangelt sich in alten Industrieanlagen an meterhohen Geländern entlang, obwohl er weiß, dass das schief gehen kann.

Heute aber ist nicht so ein Tag. Jason Paul steht total ausgepowert in einem Fotostudio, weil er Werbeaufnahmen machen muss. Er soll dafür kurz mal hochspringen — aber er kann nicht. Am Vortag ist er in Frankfurt herumgetollt: „Sorry, nichts geht mehr. Ich bin platt“, sagt er zu dem verdutzten Fotografen.

Jason Paul ist Freerunner, mit Abstand der erfolgreichste in Deutschland und einer der profiliertesten weltweit. In seinem ziemlich strapaziösen Sport geht es darum, die Umgebung in ein Spielfeld zu verwandeln: sich an Wänden und Zäunen entlangzuhangeln, weit und zielgenau zu springen, meterhohe Hindernisse mit Technik zu bezwingen.

Beim Freerunning ist die Bewegung kein Mittel zum Zweck, sondern reiner Selbstzweck. Tricks und Ideen stehen im Vordergrund, nicht der Weg. „Freerunning ist wie das Kind auf dem Spielplatz“, sagt Jason Paul, „ich bin immer schon gerne herumgeklettert und habe Faxen gemacht.“ Seine Vorbilder in Kindertagen waren nicht Michael Jordan oder David Beckham, sondern Batman und Spiderman.

In der Szene hat der 22-jährige Deutsche auch deshalb einen Namen, weil er für sportliche Erfolge steht. Schon dreimal hat Paul die Art of Motion, eine Art Weltmeisterschaft unter den Freerunnern, gewonnen. Der jährliche Saisonhöhepunkt auf der griechischen Insel Santorin fand vor kurzem allerdings ohne Paul statt: Der Vorjahres-Dritte verzichtete. Er hatte keine Lust. „Ich habe mir vorgenommen, keine Contests zu machen in diesem Jahr. Die vergangenen drei Jahre habe ich alles gemacht, was ging. Aber jetzt will ich mich auf andere Sachen konzentrieren.“

Andere Sachen, das heißt vor allem: Videos machen. Freunde treffen. Ein bisschen herumspringen. Den Urlaub genießen. „Rumchillen“, wie Jason Paul es nennt. Reisen. Und Kleidung für sein eigenes Label entwerfen.

Freerunning ist eine Kunst, und Sportler wie Paul agieren wie Künstler. Weil es kein Patentrezept gibt und keine Saison, macht jeder, was er will. Paul hat verstanden, dass er seine Talente für weitaus mehr nutzen kann, als ein bisschen in den Wohngebieten daheim in Frankfurt herumzutollen. Also arbeitet er gemeinsam mit drei Kumpels am Aufbau einer eigenen Marke. Es geht dabei auch ums Geldverdienen für Männer, die nichts haben „und nichts können“, außer wild in der Gegend herumzuspringen, wie Paul sagt.

Der junge Mann fällt auf. Meist trägt er eine übergroße Jogginghose, der Schritt hängt auf Kniehöhe, und ein Shirt mit mächtigem Wasserfallausschnitt. Er ist fast schon bedingungslos lässig drauf, „Stress ist nichts für mich“. Um ihn zu verstehen, muss man in die Szene der Freerunner eintauchen, die in starkem Kontrast zu fast jedem olympischen Sport steht. Alles beruht auf Selbstständigkeit und totaler Ungebundenheit. Sein Talent zu erkennen, es zu fördern und vielleicht mal groß rauszukommen, nimmt einem niemand ab. „In unserem Sport bist du für alles selbst verantwortlich“, sagt Paul.

Als er mit 14 Jahren gemeinsam mit einem Freund anfing, über Mauern zu springen und sich an Straßengeländern entlang zu hangeln, durften noch nicht mal die Eltern davon wissen. „Wir hatten Schiss, dass sie es uns verbieten.“

„Wenn du zehn oder elf bist, dann sagen die Leute: Hey, du bist jetzt zu alt für den Spielplatz.“ Jason Paul fühlte sich aber in der Pubertät heimischer denn je zwischen Klettergerüsten, Rutschen und Schaukeln. Im Internet verabredete er sich mit anderen. Der Freerun-Sport, eine ausgeweitete Form des Parcourslaufs, war jung und unbekannt. „Wir haben herumgetollt ohne zu wissen, was wir da genau machen. Aber es hat irre viel Spaß gemacht“, sagt er.

Zwischen diesen Anfängen in der Frankfurter Siedlung Goldstein und heute liegen acht Jahre, die Jason Paul bekannt und auch ein bisschen müde gemacht haben. Die vielen Sprünge sind nicht nur meist gefährlich, sie verschleißen auch.

So locker und gelassen Jason Paul von einem in den nächsten Tag springt, so sicher weiß er auch, dass irgendwann Schluss ist an der Weltspitze. „Du bist mit Mitte 30 nicht mehr so fit wie jetzt. Dann kommen die Jungen, und du bist weg.“

Einmal brach er sich den Arm, einmal zwang ihn ein Bänderriss zum Arzt — ansonsten ist er bislang davongekommen. Jason Paul weiß um die Gefahr. „Vor dem Sprung sage ich mir: Wenn du jetzt zu weit nach links oder rechts springst, fällst du runter, dann war’s das“, berichtet er. „Man muss immer megakonzentriert und vorsichtig sein, dass nichts passiert.“