Funkkontakt offenbart Fehler vor Untergang der „Sewol“
Seoul (dpa) - Der völlig chaotische Funkkontakt der südkoreanischen Fähre „Sewol“ mit der Schiffsüberwachung an Land könnte die Katastrophe noch verschärft haben. Ein Mitschnitt zeigt, wie unentschlossen beide Seiten auch dann noch agierten, als das Schiff mit 476 Menschen an Bord schon in bedrohlicher Schräglage war.
Obwohl die genaue Ursache der Katastrophe weiter unklar ist, ging die südkoreanische Staatspräsidentin hart mit dem Kapitän und weiteren verhafteten Besatzungsmitgliedern ins Gericht: Sie warf ihnen mörderisches Verhalten vor. Die Zahl der bestätigten Leichen stieg bis Montagabend (Ortszeit) auf mehr als 80. Nach der Katastrophe vom Mittwoch vergangener Woche gibt es kaum noch Hoffnung, Überlebende unter den immer noch rund 220 Vermissten zu finden. Die meisten Menschen an Bord waren Schüler auf einem Ausflug.
DAS WIRRWARR VOR DEM UNTERGANG: Die „Sewol“ und die Überwachungsstelle auf der Insel Chindo hatten nach einem ersten Notruf noch etwa eine halbe Stunde Funkkontakt. Nach rund zwanzigminütigem Hin und Her empfahl das „Jindo Vessel Traffic Services Center“, der Kapitän solle über die Evakuierung des Schiffs bestimmen. „Wir kennen die Situation nicht gut genug, also sollte der Kapitän die endgültige Entscheidung über die Rettung der Passagiere treffen.“ Doch die „Sewol“-Besatzung wollte erst wissen, ob die Passagiere sofort gerettet werden könnten. Ein Patrouillenboot sei in zehn Minuten und ein Helikopter in einer Minute zur Stelle, lautete die Antwort. Die Crew wiederum entgegnete, ein Helikopter reiche nicht, es seien zu viele Passagiere. Das geht aus dem am Sonntag von der Küstenwache veröffentlichten Mitschnitt hervor.
DIE VORWÜRFE GEGEN DIE BESATZUNG: Die südkoreanische Staatspräsidentin Park Geun Hye sagte, das Verhalten von Schiffskapitän Lee Jun Seok und weiteren Besatzungsmitgliedern sei nicht zu tolerieren. Sie seien unter den ersten gewesen, die sich gerettet hätten - zugleich hätten sie den Passagieren gesagt, sie sollten an Ort und Stelle bleiben. „Das kommt einem Mord gleich“, meinte die Staatspräsidentin am Montag in Seoul. Park forderte, mögliche Unregelmäßigkeiten beim Betrieb der 20 Jahre alten Fähre aufzudecken. Nach der Übernahme des Schiffs hatte der südkoreanische Reeder Chonghaejin Marine das Schiff umgebaut, um die Aufnahmekapazitäten zu erhöhen. Solche Umbauten gelten allerdings als nicht unüblich. Park räumte ein, dass es nach der Havarie auch bei der Behörden Fehler gegeben habe.
DIE JURISTISCHE AUFARBEITUNG: Der Kapitän, die Dritte Offizierin und der Steuermann sitzen seit Samstag in Untersuchungshaft. Am Montag wurden laut der nationalen Nachrichtenagentur Yonhap auch gegen den leitenden Ingenieur und gegen drei weitere Offiziere Haftbefehle erlassen. Die Ermittler untersuchen unter anderem, warum die Besatzung keine Evakuierungsdurchsage unmittelbar nach dem Unfall gemacht hatte.
DIE WEITERE SUCHE: Bergungsmannschaften setzten am Montag, dem fünften Tag nach der Katastrophe, vor der Südwestküste Südkoreas ihre Suche nach den Vermissten fort. Neben Hunderten von Tauchern waren auch ferngesteuerte Unterwasserdrohnen im Einsatz, um das Innere des Wracks zu durchsuchen, wie südkoreanische Sender berichteten. Angehörige harrten weiter nahe der Unglücksstelle auf der Insel Chindo aus - in der Hoffnung, dass doch noch Überlebende gefunden werden. Aber selbst wenn sich einzelne Passagiere in eine Luftblase unter Wasser gerettet haben sollten, gibt es angesichts des schwindenden Sauerstoffs kaum mehr Überlebenschancen. Die Auto- und Personenfähre war nach Angaben der Ermittler genau zu dem Zeitpunkt gekentert, als das Schiff eine scharfe Wende vorgenommen hatte.