Ex-Drogenbaron ist depressiv Gebrochener Mann in Einzelhaft: „El Chapos“ tiefer Fall

New York/Mexiko-Stadt (dpa) - „El Chapo“ ist unpässlich. Der einst mächtigste Drogenhändler der Welt leidet unter Depressionen und hört Stimmen. Seit einem Jahr wartet der frühere Chef des mexikanischen Sinaloa-Kartells in einem Hochsicherheitsgefängnis in New York auf seinen Prozess.

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Die Aussichten sind düster. Sollte Joaquín „El Chapo“ Guzmán in nur einem der 17 Anklagepunkte wie Drogenschmuggel, Geldwäsche und illegaler Waffengebrauch schuldig gesprochen werden, wird er auch noch den Rest seines Lebens hinter Gittern verbringen.

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Am 19. Januar 2017 - einen Tag vor dem Amtsantritt von US-Präsident Donald Trump - hatte Mexiko den Drogenbaron an die Vereinigten Staaten ausgeliefert. Das Sinaloa-Kartell gilt als der Hauptprofiteur der jüngsten Opioid-Epidemie in den USA und drückt seit Jahren immer billigeres und reineres Heroin in den Markt.

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Im September soll das Gerichtsverfahren beginnen. Die Beweismittel der Staatsanwaltschaft umfassen 300.000 Seiten. Das Mammutverfahren verspricht auch ein wenig Hollywood-Flair: So könnten die Schauspieler Kate del Castillo und Sean Penn in den Zeugenstand gerufen werden.

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Sie hatten „El Chapo“ an einem geheimen Ort in Mexiko zu einem Interview getroffen, nachdem der Drogenboss im Juli 2015 durch einen professionell gebauten Tunnel aus dem Hochsicherheitsgefängnis El Altiplano geflohen war. Nach Angaben der Generalstaatsanwaltschaft kamen die Ermittler dem Kartellchef durch das Treffen auf die Spur und konnten ihn Anfang 2016 erneut festnehmen.

„Unsere einzige Chance, eine lebenslange Haftstrafe zu verhindern, ist, den Prozess zu gewinnen“, sagt Guzmáns Anwalt Eduardo Balarezo der Deutschen Presse-Agentur. „Auch wenn wir 16 Anklagepunkte widerlegen und er in nur einem schuldig gesprochen wird, bekommt er mit Sicherheit lebenslänglich.“

Während „El Chapo“ in seiner 18 Quadratmeter großen Zelle von jeglicher Kommunikation mit der Außenwelt abgeschnitten ist, liefern sich in Mexiko seine einstigen Handlanger einen erbitterten Kampf um das Erbe. Die Fraktion von Guzmáns Söhnen Jesús Alfredo und Iván Archivaldo Guzmán ringt mit einer Gruppe um den mittlerweile selbst festgenommen Stellvertreter von „El Chapo“, Dámaso López Núñez alias „El Licenciado“, um die Kontrolle des Sinaloa-Kartells.

Obwohl die mexikanische Regierung die Festnahmen der Bosse als Erfolge verkauft, hat sich die Sicherheitslage für die Bevölkerung zuletzt dramatisch verschlechtert. Mit über 23.000 Tötungsdelikten war 2017 das blutigste Jahr in der jüngeren Geschichte Mexikos. Zudem gelten mehr als 30.000 Menschen als vermisst. Einst relativ sichere Regionen wie die bei Touristen beliebte Halbinsel Baja California versinken in Gewalt.

Mit jeder Verhaftung entsteht in den Kartellen ein Machtvakuum, das meist erst nach blutigen Machtkämpfen wieder gefüllt wird. „Wenn man einer kriminellen Bande den Kopf abschlägt, ändern sich die Loyalitäten und es kommt zu Spaltungen“, sagt Santiago Roel von der Nichtregierungsorganisation Semáforo Delictivo. „Das verursacht den Großteil der Gewalt in Mexiko.“

Angesichts der internen Machtkämpfe ist das Sinaloa-Kartell in Mexiko unter Druck geraten. Vor allem das relativ junge Kartell Jalisco Nueva Generación macht Boden gut und schwang sich im vergangenen Jahr nach Einschätzung der Generalstaatsanwaltschaft zum mächtigsten Verbrechersyndikat Mexikos auf. Auch mehrere kleine Banden wollen ein Stück vom Kuchen abbekommen.

Als „El Chapo“ noch in Mexiko im Gefängnis saß, hat er die Geschäfte seines kriminellen Großkonzerns über Mittelmänner wohl weiter geführt. Jetzt aber sind ihm die Hände gebunden. „Den einzigen zwischenmenschlichen Kontakt, den er hat, ist mit den Wärtern. Aber die sprechen anscheinend nicht mit ihm“, sagt Anwalt Balarezo. Selbst er sieht seinen Mandanten nur durch eine Panzerglasscheibe.

Eine Stunde pro Tag darf Guzmán in einen Fitnessraum, die übrigen 23 Stunden sitzt er in einer Einzelzelle. Das Licht brennt rund um die Uhr. Wegen der harten Haftbedingungen gilt das Manhattan Correctional Center als „Guantánamo von New York“. „Er sitzt mitten in Manhattan in einem Bundesgefängnis, die Fluchtgefahr ist gleich Null“, sagt Balarezo. „Es ist eine Bestrafung. Meiner Meinung nach wollen sie ihn damit zwingen, sich schuldig zu bekennen oder mit der Staatsanwaltschaft zusammenzuarbeiten.“

Sollte sich „El Chapo“ auf einen Deal einlassen, um im Tausch gegen Insiderinformationen über den Drogenhandel bessere Haftbedingungen oder eine kürzere Haftstrafe zu erhalten, dürften zahlreiche Köpfe rollen. Wenn er auspackt, könnte er mexikanische Politiker, korrupte Polizisten auf beiden Seiten der Grenze und auf kreative Buchführung spezialisierte Banker belasten.

Was die Ermittler besonders interessiert: Wo hat „El Chapo“ sein sagenhaftes Vermögen versteckt? Nach Einschätzung der US-Behörden verdiente der Drogenboss während seiner kriminellen Karriere bis zu 14 Milliarden Dollar (rund 12 Mrd. Euro). Bis jetzt haben sie nicht einen Cent gefunden.