Gehaltsskandal in Duisburger Behindertenwerkstatt: Das verdienen die Chefs in der Region
Geschäftsführerin bekam 376 000 Euro pro Jahr — jetzt wurde sie fristlos entlassen. Aber was verdienen Chefs solcher Einrichtungen in der Region eigentlich? Ein Überblick.
Duisburg. In Duisburg schlägt ein Gehaltsskandal um die Ex-Geschäftsführerin der Werkstatt für Menschen mit Behinderung (WFBM) hohe Wellen: Sie hat über Jahre laut Aufsichtsrat überdimensionierte Bezüge von 376.000 Euro pro Jahr eingestrichen. Sie wurde am Mittwoch fristlos entlassen.
Laut Aufsichtsrat wusste man von den „massiven Gehaltserhöhungen“ der Chefin nichts. Diese fielen jetzt nur durch ein Gutachten von Wirtschaftsprüfern auf, die das tatsächliche Jahreseinkommen enttarnten — und darauf hinwiesen, ein akzeptables Gehalt könne maximal bei 150.000 bis 180.000 Euro liegen.
Für die Interessenvertretung „Selbstbestimmt Leben in Deutschland“ (ISL) in Berlin ist der Duisburger Fall „ein Skandal für sich“. Allerdings befürchtet Geschäftsführerin und Aktivistin Sigrid Arnade, dass hinter dem Extrembeispiel ein strukturelles Problem der Branche steckt — und dass oft zu viel gezahlt wird. Denn die Werkstätten seien zwar dem Anspruch nach gemeinnützig, es steckten aber knallhart wirtschaftende Unternehmen dahinter: „Sie fahren ordentlich Gewinne ein. Und es ist eine Ausbeutung der Beschäftigten.“ Auch 180.000 Euro Jahresgehalt für einen Geschäftsführer sei reichlich, wenn die Mitarbeiter mit Handicap im Schnitt 180 Euro im Monat verdienten — die ISL fordert für diese Beschäftigten einen Mindestlohn und eine Stärkung ihrer Arbeitnehmerrechte sowie mehr Transparenz bei den Chefgehältern.
Unsere Zeitung hakt nach — etwa bei Christoph Nieder, Geschäftsführer der Behindertenwerkstatt Proviel in Wuppertal. „Ich verdiene weniger“, sagt er mit Blick auf die Spanne von 150.000 bis 180.000 Euro. Er wisse: „Alles, was ich verdiene, steht dem gemeinnützigen Unternehmen nicht zur Verfügung.“ Durch den Trägerverein seien die Gehälter kontrolliert. „Wir sind sauber aufgestellt.“ Das glaubt auch Stefan Pauls, Geschäftsführer der Wuppertaler Lebenshilfe, der ebenfalls angibt, unterhalb der Spanne zu verdienen. Er könne zudem „seine Hand dafür ins Feuer legen“, dass kein anderer Chef einer Behindertenwerkstatt in Deutschland 376.000 Euro im Jahr bekomme. „Wir haben uns schon bewusst entschieden, im sozialen Bereich zu arbeiten und nicht in der freien Wirtschaft.“
Genau da allerdings liege das Problem, sagt Josef Neumann (SPD), Wuppertaler Landtagsabgeordneter und früherer Chef der Lebenshilfe Solingen: Man bewege sich zwischen „Rehabilitationsanspruch auf der einen und Markt auf der anderen Seite“. Für die Beschäftigten müsse der Geschäftsführer einer Behindertenwerkstatt einen geschützten Rahmen schaffen — in NRW als einzigem Bundesland gebe es auch für Schwerstbehinderte ein Anrecht auf die Arbeit —, gleichzeitig konkurriere er mit anderen Firmen etwa um die Ingenieure. „Es ist kein Job wie jeder andere im öffentlichen Dienst“, sagt Neumann. Er hält zwischen 100.000 und 180.000 Euro Jahresgehalt für angemessen — er selbst habe 10.000 Euro brutto pro Monat erhalten, aber auch bis zu 70 Stunden pro Woche gearbeitet. Und: Netto habe ein Gymnasialschulleiter als Beamter mehr.
Entscheidend findet Neumann die Transparenz für die Geldfrage. Und das sieht offensichtlich auch Michael Weber, Geschäftsführer des Heilpädagogischen Zentrums (HPZ) Krefeld — Kreis Viersen, so: Aus dem Urlaub schickt er auf Anfrage sein zuletzt veröffentlichtes Jahresgehalt von 2016 per E-Mail: 116.387 Euro ganz exakt — bei 2100 Werkstattmitarbeitern und 550 Angestellten.
Die Werkstatt für angepasste Arbeit (WFAA) in Düsseldorf hat ihren Jahresabschluss 2015 inklusive Chef-Gehalt sogar auf der Internetseite veröffentlicht: 112.000 Euro bekam demnach Thomas Schilder dort. Das sei „branchenüblich“ und zudem angemessen für dessen „hervorragende Arbeit“ sagt der Sozialdezernent der Stadt und WFAA-Verwaltungsratsmitglied Burkhard Hintzsche. Dass Schilder nach der Berechnung der Duisburger Wirtschaftsprüfer jetzt über eine saftige Gehaltserhöhung Richtung 180.000 Euro verhandeln könnte, fürchtet er nicht: „Ich glaube, dass sich Herr Schilder in Düsseldorf sehr wohlfühlt.“