Generationen: Einsam gestorben und vergessen

In keinem Land werden die Menschen so alt wie in Japan – allerdings leben sie gerade in Großstädten häufig allein und isoliert.

Tokio. Wie lange Sogen Kato schon tot in seinem Haus lag, weiß niemand. Als Beamte in Tokio ihrem ältesten männlichen Bewohner zu seinem 111. Geburtstag gratulieren wollten, fanden sie nur eine mumifizierte Leiche in seinem Bett - Kato ist schon vor 30 Jahren gestorben. Das zumindest legen Zeitungen nahe, die in seinem Haus gefunden wurden. Die jüngste datiert vom 5. November 1978.

Während die Polizei nun dem Verdacht nachgeht, dass die Angehörigen den Tod all die Jahre verschwiegen, um Katos Rente zu unterschlagen, meldeten nur wenige Tage später japanische Medien einen weiteren mysteriösen Fall: Diesmal wird Tokios älteste Frau vermisst, die 113 Jahre alte Fusa Furuya.

Nach Katos aufsehenerregendem Fall wollten die örtlichen Beamten gleich mal nachschauen, wie es ihrer ältesten Bewohnerin geht. Doch Fehlanzeige. Niemand wisse, wo sie sei, meldeten Medien. Auch Furuyas 79 Jahre alte Tochter, die als Mitbewohnerin registriert ist, hatte angeblich keine Ahnung. Das letzte Mal, dass sie und ihre Mutter miteinander gesprochen hätten, sei um das Jahr 1986 gewesen. Die Tochter habe angenommen, ihre Mutter lebe mit ihrem Bruder in der Nachbarprovinz Chiba. Fälle wieder dieser werfen ein Schlaglicht auf die Lage alter Menschen in Japan.

Mehr als 40 000 Japaner sind älter als 100 Jahre. Schon jetzt leben fast 30 Millionen Menschen über 65 Jahre in dem ostasiatischen Land. Das ist fast jeder fünfte Bewohner.

Zur steigenden Lebenserwartung der Japaner tragen viele Faktoren bei: Die Fortschritte der Altersmedizin wie auch bei der Behandlung der in Japan vorherrschenden Todesursachen: Krebs, Herzerkrankungen und Hirnschlag. Dazu kommt auch die Tatsache, dass die Japaner in einem der sichersten und reichsten Länder leben. Außerdem gilt nicht zuletzt die traditionell fettarme Küche als Grund für ein langes Leben. Eine Schattenseite ist jedoch, dass viele Alte in Japan auf sich allein gestellt sind.

Während sich früher die Jüngeren um die Alten kümmerten, geht der Trend heute hin zur Kernfamilie. Viele Senioren leben allein. Wegen der Abwanderung in die Großstädte wie Tokio sterben ganze Landstriche aus. Zurück bleiben meist nur noch die alten Menschen. Während auf dem Land allerdings oft noch die örtlichen Gemeinschaften in Takt sind und die Menschen sich gegenseitig helfen, sieht die Lage in den modernen Großstädten oft anders aus.

Zunächst blieben die Umstände der Fälle von Kato und Furuya unklar. Bei Kato hieß es, die Behörden hätten öfter versucht, ihn zu besuchen, aber die Angehörigen hätten sie nicht hereingelassen. Zur Begründung hieß es, Kato habe angeblich niemanden sehen wollen. Er habe sich vor 30 Jahren in sein Zimmer zurückgezogen, um sein Dasein als "lebender Buddha" zu fristen.

Tatsache ist, dass viele alte Menschen in Japan isoliert leben. Das Schicksal der beiden über Hundertjährigen sorgte nun für so viel Medienwirbel, dass sich auch die Zentralregierung damit befasste. Die Lage alter Menschen sei für die Behörden ein schwerwiegendes Thema.