Reportage Geschwister ertrunken: Dorf Neukirchen steht unter Schock

Neukirchen. Drei Kerzen entzündet der Pfarrer in der evangelischen Kirche in Seigertshausen, für drei tote Kinder. „Dieser Morgen ist so ganz anders als der Morgen, den wir uns wünschen“, sagt Reinhard Keller in seiner Sonntagspredigt in dem 700-Einwohner-Ort im Norden Hessens.

Die Kinder ertranken in diesem Teich

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Am Vorabend waren im Löschteich, nur wenige Fachwerkhäuser entfernt, drei Geschwister ertrunken - fünf, acht und neun Jahre alt. „Unmögliches Leid“ habe sich auf das Dorf gelegt, sagt der Pfarrer.

Die Gottesdienstbesucher sind an diesem Morgen tief getroffen. „Die Oma sitzt drinnen, die ist fix und fertig“, sagt eine Frau in weißer Strickjacke vor der Kirche. „Es tut einem ja so leid, so leid“, sagt eine andere Frau. Sie wohnt direkt an dem Teich und hat am Abend das Blaulicht der zahlreichen Feuerwehr-, Polizei- und Rettungsfahrzeuge gesehen. „Ich dachte gleich: Da ist ein Unfall“, sagt sie.

Wie die Kinder in den etwa 40 Meter breiten Teich gerieten, ist laut Polizei zunächst unklar. Das Ufer ist mit Steinen befestigt, steil und nach dem vielen Regen der vergangenen Wochen rutschig. Auf einem Schild steht: „Teichanlage. Betreten auf eigene Gefahr. Eltern haften für ihre Kinder.“

Anwohner hatten zunächst den Fünfjährigen bewusstlos im Wasser treiben sehen. Sie holten ihn aus dem See, doch jede Hilfe kam für ihn zu spät. „Wir haben die anderen zwei Kinder gesucht, weil die noch fehlten, die Polizei und auch Mitbewohner im Ort. Wir haben überall gesucht im Ort, in den Gärten, in den Gassen, in der Annahme, die wären weggelaufen“, sagt die Besitzerin des Landgasthofs „Jägerhof“.

Zeitgleich werden rund um den See Scheinwerfer aufgestellt. Taucher der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG) steigen ins Wasser. Sie finden schließlich die Leichen der beiden Kinder. „Das ganze Dorf steht unter Schock, die Stimmung ist eine Katastrophe“, sagt die „Jägerhof“-Besitzerin.

Am Tag liegt der Teich wieder still. Frösche quaken, auf den Bäumen am Rand singen Vögel. Eine benachbarte Beachvolleyball-Anlage und ein Vereinsheim liegen verwaist. Zwei Männer kommen im Auto, laufen durch das feuchte Gras. Sie gehören zu der großen Familie der Toten, die aus ganz Deutschland anreist.

Seigertshausen, das heute zu Neukirchen gehört, ist ein historisch gewachsenes Dorf. Schon 1196 wurde es urkundlich erwähnt, viele Familien bauen noch Gerste, Weizen oder Raps an. Rehe springen durch die angrenzenden Wälder und es gibt eine Trachtengruppe, eine Burschenschaft, einen Wanderverein und einen evangelischen Frauensingkreis. Hier kennt jeder jeden.

Die Familie sei erst vor einem Jahr hergezogen, sagt Bürgermeister Klemens Olbrich. Die Kinder waren Muslime. Pfarrer Keller betont in seiner Predigt, das Dorf helfe der Familie, „die in dieser Stunde Unsägliches durchmacht“. Die Last, die auf dem Dorf liege, werde zusammen getragen. „Egal, woher sie kommen, egal welcher Konfession oder Religion sie angehören.“