„Berlin 36“: Drama einer Sportlerin in der ARD
Berlin (dpa) - 2012 ist ein großes Olympia-Jahr - nicht nur sportlich, sondern auch dramatisch. Ab Ende Juli kämpfen in London Athleten um Gold, Silber und Bronze; vorher geht und ging es im Fernsehen um vergangene Olympia-Ereignisse.
Vor allem die Tragödie der Olympischen Spiele in München 1972 hat zu ihrem 40. Jahrestag Filmemacher zu Doku-Dramen und Reportagen inspiriert. Auch die ersten Spiele auf deutschem Boden - 1936 in Berlin - bergen noch genügend Stoff für Geschichten, wie der Kinofilm „Berlin 36“ beweist, den die ARD an diesem Mittwoch (20.15 Uhr) erstmals im Fernsehen zeigt.
Es geht um ein Einzelschicksal, das stellvertretend für viele andere steht: Die Jüdin Gretel Bergmann ist eine herausragende Hochspringerin, vielleicht die beste ihrer Zeit. Doch sie wird nur in den Olympia-Kader aufgenommen, weil die USA und andere Nationen mit einem Boykott gedroht haben, sollten keine jüdischen Sportler im deutschen Aufgebot stehen. So lassen die Nazis sie mittrainieren, eine echte Startchance hat sie aber nie. Denn kaum hat sich die US-Mannschaft per Schiff auf den Weg nach Berlin gemacht, wird Bergmann ausgebootet. Ihre Leistungen seien nicht gut genug, heißt es - und noch mehr: Als Konkurrentin wird Dora Ratjen aufgeboten - eine Hochspringerin, die ein Mann ist, wie sich später herausstellt.
Karoline Herfurth spielt die Jüdin Bergmann, Sebastian Urzendowsky gibt die Konkurrentin (im Film Marie Ketteler statt Dora Ratjen). Mit ihnen hat Regisseur Kaspar Heidelbach einen Film geschaffen, der unter die Haut geht. Herfurth lässt all den Hass und die unbändige Wut spürbar werden, die in Bergmann brodelten. Und das macht sie authentisch, wie die echte Hochspringerin zur Kinopremiere vor drei Jahren betonte: „Mir gefällt der Film“, sagte die damals 95-jährige Margaret Bergmann-Lambert. „Ich hoffe, dass er zeigt, dass so etwas nie, nie mehr passieren darf.“
Gretel Bergmann kommt am Ende auch in „Berlin 36“ zu Wort - und da wird aus dem Drama, das ihr sogar eine Romanze mit dem Mann in Frauenkleidern andichtet, plötzlich ein Dokumentarfilm: Gretel Bergmann emigrierte ein Jahr nach den Spielen aus dem schwäbischen Laupheim in die USA. Ihr Verlobter Bruno folgte ihr und sie heirateten 1938. Während ihre Familie den Holocaust überlebte, kamen 30 Verwandte ihres Mannes in den Vernichtungslagern der Nazis um.
Nur Hass, Hass, Hass habe sie gespürt in den ersten Jahren. Sie weigerte sich, Deutsch zu sprechen und kehrte bis 1999 nicht in ihre Heimat zurück. „Ich war eine Fata Morgana. Sie haben mich nur als Lockvogel für die Amerikaner benutzt“, erzählte sie vor drei Jahren der dpa. Sie ist weiter fest davon überzeugt, dass sie damals eine Medaille gewonnen hätte, wenn sie hätte teilnehmen dürfen. Siegerin wurde die Ungarin Ibolya Csak. Sie übersprang 1,60 Meter - eine Höhe, die Gretel Bergmann kurz vorher selbst gemeistert hatte.
Dora - eigentlich Heinz - Ratjen alias Marie Ketteler belegte für Deutschland den vierten Platz. Bergmann hat ihn nie wieder gesehen, er hatte sich völlig zurückgezogen, nachdem sein wahres Geschlecht bekanntgeworden war - auch das eine tragische Geschichte: Heinz Ratjen wurde bei seiner Geburt als Tochter eingetragen und musste fortan Mädchenkleider tragen. Da er sehr feingliedrig war, fiel das lange nicht auf. Erst als er den Hochsprung-Weltrekord 1938 auf 1,70 Meter verbesserte, provozierte er seine Entdeckung. Per Gerichtsbeschluss wurde er 1939 zum Mann erklärt, im April 2008 - ein gutes Jahr vor der Filmpremiere - starb Ratjen in Bremen.
Bergmann, so scheint es, hat ihren Frieden gemacht mit der Vergangenheit: „Mit Hass zu leben, ist nicht gut“, sagte sie. Ihre Darstellerin Karoline Herfurth nennt sie ihre „Zwillingsschwester“, und die hat ihre Rolle ernst genommen: „Ich habe mich zum ersten Mal in meinem Leben wahnsinnig geschämt, Deutsche zu sein“, sagte sie.