„Das Ende des Zufalls“: 3sat-Film über Big Data
Berlin (dpa) - Die Polizisten im kalifornischen Santa Cruz rücken zu Verbrechen aus, bevor sie geschehen. Die Beamten folgen den Vorhersagen eines Computers, wenn sie die Streifen durch ihr Revier planen.
Kleine bunte Zeichen auf der Karte zeigen an, wie und wo an diesem Tag voraussichtlich das Gesetz gebrochen wird. Eine Art Wetterbericht zu Raubüberfällen, Autodiebstahl und Gewalttaten.
Viele Polizisten hätten das erst für Unsinn gehalten, erinnert sich Vize-Polizeichef Steve Clark - sahen dann aber die Kriminalitätsrate abrupt sinken. „2013 zeigte unsere Statistik in den ersten fünf Monaten einen Anstieg von 42 Prozent bei Autodiebstählen“, so Clark. Bis das Programm die Einsätze mitzusteuern begann. Am Ende des Jahres waren es nicht mehr 42 Prozent Zunahme, sondern 15 Prozent weniger. „Das ist ein riesiger Effekt“, sagt der Polizist in der Dokumentation „Das Ende des Zufalls“, die 3sat am Donnerstag um 20.15 Uhr zeigt.
„Der Algorithmus sagt zwei- bis dreimal besser als ein Mensch voraus, wo sich ein Verbrechen ereignen wird“, erläutert Computerspezialist George Mohler von der Uni Santa Clara. Mohler ist der Pionier des sogenannten Predictive Policing, bei dem viele Menschen erst einmal an den Thriller „Minority Report“ denken werden. „Die Algorithmen nutzen Daten von Verbrechen der Vergangenheit. Wir füttern den Computer mit Statistiken der letzten fünf bis zehn Jahre.“ Viele Verbrechen seien „ansteckend“, zum Beispiel Blutfehden von Gangs.
Gewohnheiten, Regelmäßigkeiten, Routine, all das sind die Verbündeten der Informatiker, wie die Fernsehautoren Pina Dietsche und Jakob Kneser in ihrem Film nachzeichnen. Sie sind der Schlüssel zu den Big Data, der stetig wachsenden Masse an persönlichen Informationen, die Menschen im Alltag hinterlassen. Händler suchen zum Beispiel nach Mustern, welche Produkte Frauen im dritten Monat der Schwangerschaft kaufen. So kann der Computer die Geburt eines Kindes zu 95 Prozent vorhersagen und rechtzeitig Babynahrungsprodukte anbieten.
„Der freie Wille erklärt nur einen kleinen Teil unseres Verhaltens“, schildert der Bonner Informatik-Forscher Alexander Markowetz. „Und der ganze Rest unseres Verhaltens sind Gewohnheiten, die in Mustern auftreten, und das kann man alles berechnen.“ Genau dies sei „die große Beleidigung der Informatik für die Menschheit“, fügt er hinzu.
Die Magie der Algorithmen. Sie können Schulaufsätze bewerten, die Wirkungskraft von Medikamente vorhersagen und sogar Hinweise geben, ob sich politische Konflikte zusammenbrauen. Der amerikanische Software-Entwickler Paul Bessire sagt mit ihnen Sportereignisse voraus: „Ich mache Vorhersagen für mehr als 10 000 Spiele pro Jahr. Und in etwa 5600 Fällen liege ich richtig.“ 56 Prozent, das sei die zuverlässigste Quote, die es bisher für Sportereignisse gebe. Und durch neue Daten werde das System immer zuverlässiger. Bessire sagt: „Für mich sind Menschen viel vorhersehbarer als Maschinen. Menschen sind die ultimativen Maschinen, wenn es darum geht vorauszusagen, was sie in einem bestimmten Moment auf dem Spielfeld machen werden.“
Autorin Pina Dietsche macht einen Selbstversuch mit einer App gegen Burn-Out und muss feststellen: Der Computer kennt sie. Dienstags hat sie über acht Wochen kontinuierlich ein Stimmungstief. „Das war mir jetzt auch nicht klar, dass der Dienstag mein schwarzer Tag ist.“
Doch kann die Technik eben nicht das leisten, was Militärexperten sich seit dem Anschlag auf das World Trade Center doch gerade erhofft hatten. „Singuläre Events“ werde man nie prophezeien können, sagt Markowetz. „Man wird den nächsten 11. September nie vorhersagen können.“ Die Autoren ziehen noch eine zweite bittere Bilanz. Schon heute fehlt es oft nicht an Analysen, sondern am Willen zu handeln.