Ungesendete Botschaften Die erste Liebe: Was ich Dir noch sagen wollte …

Eine Bloggerin sammelt Nachrichten, die Menschen gerne ihrer ersten Liebe mitteilen würden — und veröffentlicht sie im Internet: Es ist eine beeindruckende Gefühlsduselei.

Nicht immer ist es ein "Ich liebe Dich", was man der ersten Liebe sagen möchte.

Foto: Ina Fassbender

Düsseldorf. „Ich hätte mir meine Beine für dich rasiert“, schreibt eine Frau. An Nathaniel. Der vermeintliche Empfänger hat einen Namen. Sie als Absenderin bleibt anonym. Sie hat eine „unsent Message“ geschrieben, eine ungesendete Nachricht also, die ihrer ersten Liebe gedacht ist. Aber diese erste Liebe nie erreichen wird. Wie diese Sätze einer anderen Frau. An Jonathan: „I hates you, I saw you today, I love you“ („Ich hasste dich. Ich sah dich heute. Ich liebe dich“).

Am Ende einer Beziehung sagt mancher viel, andere werden bereuen, was sie alles gesagt haben. Aber vieles bleibt eben auch ungesagt. Genau dieses Ungesagte ist das Repertoire, aus dem die 19 Jahre alte amerikanische Bloggerin Rora Blue ein Projekt gemacht hat, in dem sich die menschlichen Gefühle tausender zu einer beeindruckenden Gefühlsduselei vereinen. Blue hat Nachrichten gesammelt, die andere gerne an ihre erste Liebe senden würden, aber sich nicht trauen. Und sich das nie getraut haben. Die genaue Aufgabe lautete: „Nenne den Namen deiner ersten Liebe und schreibe, was du ihm/ihr mitteilen würdest, wenn du ihm/ihr eine Nachricht schicken würdest. Nenne auch die Farbe, die du mit deiner ersten Liebe in Verbindung bringst.“

Die junge blonde Frau aus Sacramento veröffentlicht diese Botschaften, die auf einem farbigen Zettel fotografiert sind, unter dem Hashtag „unsentproject“ auf dem sozialen Mediendienst „Instagram“. Auch diese farbigen Zettel haben ihren Sinn: Blue wollte wissen, welche Farbe die Liebe hat und die Gefühle für einen anderen Menschen. Es stellt sich heraus, dass diese Gefühle mit dem ganzen Farbspektrum wahrgenommen werden und Liebe keine einzige Farbe kennt. Mehr als 2000 Botschaften hatte Rora Blue schnell erhalten, sie druckte 400 dieser Zettel aus — und hatte eine breite Farblandschaft vor sich. Mit weißer Kälte oder roter Wärme, grüner Hoffnung oder pinker Erinnerung. Und für jedes Gefühl bleibt Raum: Verzweiflung, Humor, beißende Ironie, Traurigkeit, auch Bosheit. Einige Beispiele? „Danke, dass Du mir gezeigt hast, wie sich so ein zerbrochenes Herz anfühlt. Ich weiß es jetzt besser“, schreibt jemand an Gilang. Oder: „Ich denke immer noch an dich, wenn ich andere Mädchen küsse.“ Und an Chris geht der Satz: „Ich liebte dich mehr als das Leben.“ Der Zettel war schwarz.

Manche Botschaften — inzwischen hat Rora Blue weit über 30 000 gesammelt — sind seltsam, aber entwickeln ihre Kraft gerade dadurch, dass sie nur von genau zwei Menschen verstanden werden. Unter dem Strich steht: Es ist vieles unbewältigt in den Menschen. Ein willkommener Anlass und eine spannende Zeitreise ist das, einmal selbst in sich hineinzuschauen. Was würden Sie Ihrer ersten Liebe heute sagen wollen?

„Versuche es: Schau mir in die Augen und sage mir, dass das, was wir hatten, nicht echt war“, schreibt eine Frau an Russ. Vermutlich wird er es nie lesen, vielleicht sind Jahrzehnte schon vergangen seit ihrer Liebe. Aber wie schwer sie noch wiegen kann, wird mit diesem Projekt beeindruckend vor Augen geführt: „Ich zittere immer noch, wenn ich Deinen Namen höre.“ Blue sieht ihr Projekt als eine Chance, die sie den Menschen gibt: „Das Unsent Project ermöglicht es, den Leuten, ihrer ersten Liebe das, was sie schon immer einmal sagen wollten, mitzuteilen, aber gleichzeitig anonym zu bleiben.“ Jene anonyme Intimität sei eine Sehnsucht in den sozialen Medien, Rora Blue spiegelt das. Und zeigt, das diese Anonymität tatsächlich bisweilen auch ein Segen sein kann. wie bei der Nachricht an Anne: „Was hast du nur für einen Scheiß mit deinen Haaren gemacht?“