Wort des Jahres Für Sprachforscher trifft „Jamaika-Aus“ einen Nerv in 2017

Wiesbaden (dpa) - Das Hickhack um die gescheiterte Koalitionsbildung im Bund kristallisiert sich für die Jury zum „Wort des Jahres“ in einem Begriff: „Jamaika-Aus“. Sie sieht in den wochenlangen Gesprächen zwischen Union, FDP und Grünen sowie ihrem abrupten Ende das wichtigste innenpolitische Thema 2017.

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„Es rankt sich ja noch mehr darum, es war die Rede von Staatskrise“, erläuterte der Vorsitzende der Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS), Peter Schlobinski, am Freitag in Wiesbaden. „Das Thema wird uns auch weiterhin beschäftigen.“ Der ähnliche Begriff „Jamaika-Koalition“ hatte es bereits 2005 in die Liste der „Wörter des Jahres“ geschafft, allerdings nur auf Platz 6. Auf dem ersten Platz landete vor zwölf Jahren „Bundeskanzlerin“ - Angela Merkel war da gerade erstmals zur Regierungschefin gewählt worden.

Dass die Nationalfarben der Karibikinsel Jamaika für politische Farbenspiele in Deutschland stehen, war aber schon damals kein neues Phänomen. Die Flagge zeigt ein gelbes Schrägkreuz sowie jeweils zwei schwarze und grüne Felder. Nach Recherchen der Sprachforscher finden sich bereits seit Mitte der 90er Jahre erste Belege. Eine mögliche Koalition zwischen CDU, CSU, FDP und Grünen wurde von Experten und Journalisten seit dieser Zeit auch „Schwarze Ampel“ oder „Schwampel“ genannt.

Der Name des Staates Jamaika habe in Deutschland nicht nur eine neue Bedeutung bekommen, die Aussprache sei auch eingedeutscht worden, erklärte Schlobinski. Die korrekte englische Aussprache „Dschamäika“ sei seit langem zu „Dschamaika“ geworden. Inzwischen höre man am Wortanfang anstelle von „Dsch“ zunehmend ein „J“ wie in „Jahr“.

Im Zusammenhang mit dem ebenso plötzlichen wie erfolglosen Ende der schwarz-gelb-grünen Sondierungsgespräche haben die Sprachexperten neben dem Zusatz „Aus“ einen Begriff ausfindig gemacht, der es jedoch nicht auf die Liste schaffte: lindnern. Dieses neue Spottwort stehe für: „Eine Verabredung in letzter Sekunde platzen lassen“. Der FDP-Vorsitzende Christian Lindner war - für viele überraschend - im November aus Verhandlungen mit den anderen Parteien ausgestiegen.

Die innenpoltischen Diskussionen spiegeln sich auf weiteren Plätzen der Wörter-Liste wider: „Ehe für alle“ auf Platz 2 beschreibt die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare, Platz 6 belegt Obergrenze, ein Reizwort, mit dem die CSU monatelang die Asyldebatte befeuerte. Mit dem Diesel-Gipfel (Platz 7) versuchte die Bundesregierung, drohende Fahrverbote für Diesel zu vermeiden.

Den Begriff auf Platz 9 setzen die Sprachwissenschaftler in Anführungszeichen - „Denkmal der Schande“. Der AfD-Politiker Björn Höcke hatte in einer Rede in Dresden unter anderem mit Blick auf das Holocaust-Mahnmal in Berlin gesagt: „Wir Deutschen, also unser Volk, sind das einzige Volk der Welt, das sich ein Denkmal der Schande in das Herz seiner Hauptstadt gepflanzt hat.“

Der Begriff stehe für die öffentliche Debatte über die Sprache von Rechtspopulisten, begründet die Jury ihre Auswahl. „Es spielt für uns keine Rolle, ob ein Begriff auch das "Unwort des Jahres" werden kann, wir haben unsere eigenen Kriterien“, sagt Schlobinski. Die Kür dieses Begriffs folgt erst im Januar durch eine Jury in Darmstadt.

Das Gremium der GfdS in Wiesbaden wählt Wörter aus, die „den sprachlichen Nerv des Jahres treffen und einen Beitrag zur Zeitgeschichte leisten“. Dazu sichtete sie 2017 rund 600 Einsendungen und wertete Medien aus. Mit der Liste sei „keinerlei Wertung oder Empfehlung verbunden“, meinen die Sprachforscher.

Das „Wort des Jahres“ wurde erstmals 1971 und seit 1977 regelmäßig gekürt. Mit-Initiator ist der Redakteur Helmut Walther. In den frühen Jahren tauchten die Begriffe nur in Aufsätzen der Fachzeitschrift „Der Sprachdienst“ auf. Ein Agentur-Journalist wurde darauf aufmerksam - und brachte die Begriffe in die Öffentlichkeit. Erst einige Jahre später gab die GfdS eine Rangliste heraus.

„Wie den "Baum des Jahres" oder den "Vogel des Jahres" gibt es - erst recht - das "Wort des Jahres"“, sagt Walther. „Und es wäre schade, wenn nicht. Denn die Sprache ist die Grundlage für unser Leben.“ Für ihn treffe „Jamaika-Aus“ den Nerv des Jahres 2017.