Ostfriesenwitze sind nicht totuzukriegen
Bremen (dpa) - Es gab eine Zeit, da lachte ganz Deutschland über die Ostfriesen. An den Stammtischen, auf Schulhöfen, im Radio oder Fernsehen, überall nahm man das als eigenartig und wortkarg geltende Völkchen auf die Schippe.
Heute hört man die Ostfriesenwitze eher selten, aber tot sind sie noch lange nicht - was manchem im äußersten Nordwesten sogar ganz recht ist.
„Warum laufen Ostfriesen immer drei Runden ums Bett, bevor sie schlafen gehen? Damit sie Vorsprung haben, falls ein Räuber kommt.“
Nach diesem Muster sind die meisten Ostfriesenwitze gestrickt. Sie bestehen aus einer einfachen Frage-Antwort-Form, das Niveau ist eher flach und bedient ein Klischee vom platten Land, grasenden Schafen auf dem Deich und behäbigen, etwas hinterwäldlerischen Menschen, die den ganzen Tag Tee trinken. „Der Ostfriesenwitz ist eine Variante des Dummenwitzes, und der ist immer weit ab vom Leben in den Städten angesiedelt, also an den Küsten oder in den Bergen“, sagt der Kieler Witzforscher Winfried Ulrich.
Der Legende nach soll der Ostfriesenwitz an einem Gymnasium in Westerstede entstanden sein, das zwar im Ammerland liegt, aber auf das auch Schüler aus dem angrenzenden Ostfriesland gehen. Ende der 60er Jahre erschien in der Schülerzeitung eine Glosse über die Eigenarten der Ostfriesen. Daraus entwickelte sich eine Witzwelle, die sich von der Schule über Norddeutschland immer weiter ausbreitete. „Das grassierte damals richtig“, erinnert sich Wiard Raveling, der damals an dem Gymnasium unterrichtete und ein Buch über die „Geschichte der Ostfriesenwitze“ geschrieben hat.
„Warum lachen Ostfriesen, wenn es draußen blitzt? Weil sie denken, dass sie fotografiert werden.“
Dass die Ostfriesenwitze in den 70ern dann auch bundesweit populär wurden, erklärt der Bremer Humorforscher Rainer Stollmann mit dem Sterben der Schwerindustrie. „Witze sind immer eine Auseinandersetzung mit Modernisierungsschüben. In ihnen drücken sich Ängste aus. Man flüchtet in eine Region, die von der Industrie gar nicht berührt ist“, sagt der Kulturwissenschaftler.
Witzmoden kommen und gehen. Viele ähneln sich, nur die Opfer sind andere. In der Nachkriegszeit waren es die Schwiegermütter, in den 90ern die Mantafahrer und später die Blondinen. Die Hochzeit der Ostfriesenwitze ist auf jeden Fall vorbei, trotzdem gibt es sie noch. Auf Witzseiten im Internet sind hunderte zu finden, und immer noch kommen neue dazu.
Deutschlands berühmtester Ostfriese Otto Waalkes kann die Kalauer über seine Landsleute jedoch nicht mehr hören. „Ostfriesenwitze sind leider nicht totzukriegen, jedenfalls nicht, solange es noch Leute gibt, die sich gern auf Kosten vermeintlich Unterlegener amüsieren“, sagt der Komiker. Seine Hoffnung: Dass man zur Abwechslung mal über die lacht, die sich überlegen fühlen.
Entspannter sieht das Helmut Collmann von der Ostfriesischen Landschaft. „Es gibt Ostfriesenwitze, die sind reichlich platt. Manche aber haben Pfiff“, meint der Präsident des Regionalverbands für Kultur, Wissenschaft und Bildung. Und die Witzwelle hatte auch was Gutes: „Seitdem kennt man Ostfriesland.“ So wundert es nicht, dass mancher Tourismusanbieter mit der liebenswerten Schrulligkeit, die den Ostfriesen nachgesagt wird, kokettiert. An eine Renaissance des Ostfriesenwitzes glaubt Collmann allerdings nicht. „Das Ostfriesland von 2012 ist nicht mehr das von früher.“ Auch dort habe die Industrie etwa mit der Windkraftbranche und dem Autobau längst Einzug gehalten.
„Warum haben Ostfriesen nur eine Viertelstunde Teepause? Weil man sie sonst wieder neu bei der Arbeit anlernen müsste.“
Darüber lacht ganz Deutschland also nicht mehr. Worüber dann? Eine große Witzwelle sehen die beiden Experten Ulrich und Stollmann zurzeit nicht. Die seit einiger Zeit angesagten „Deine-Mutter-Witze“ beschränken sich zum Beispiel nur auf die Jugendkultur und sind nicht generationsübergreifend wie es die Manta- oder Blondinenwitze waren. „Ich könnte mir vorstellen, dass Witze über die Finanzkrise oder die Griechen erfolgreich sein könnten“, meint Stollmann. Einzelne Witze über diese Themen gebe es schon, eine Welle sei das jedoch noch nicht.
Wenn die Witze dann auch noch das Versagen der Banker und Politiker aufs Korn nehmen, dann könnte sich auch Ottos Hoffnung erfüllen - zumindest ein kleines bisschen.