„X Factor“: Alles, aber bitte keinen Streit!

Köln (dpa) - Eine riesige Bühne, kreischende Zuschauer, Emotionen und freche Sprüche am Fließband. Ganz klar: So sieht eine Castingshow aus.

Trotz der Gemeinsamkeiten mit anderen Talentwettbewerben verfolgt die Vox-Sendung „X Factor“ ein anderes Konzept: „Hier spielt die Musik eine ganz fette Rolle“, erklärt Jury-Mitglied Till Brönner. Am Dienstag (6.12., 20.15 Uhr) steigt in Köln das Finale der Show, die Zuschauer haben die Wahl: junge Frau mit kühlem Blick, mittelalter Mann mit Tränendrüse oder ein Classic-Pop-Duett.

Der Verzicht auf erniedrigende Angriffe, das Aufhetzen der Kandidaten untereinander oder ellenlange Psychospielchen bei der Ergebnisbekanntgabe bedeuten einen Unterschied zur gängigen Casting-Welt. Am meisten entgegenkommen dürfte der sanftere Kurs dem Finalisten David Pfeffer (29). Der Polizist aus Duisburg gilt als sehr nah am Wasser gebaut, seine Songauswahl reicht von Balladen bis Kuschelpop: „Ich bin halt der Typ, der die traurigen Lieder singt.“

Dass Pfeffer zwar ein toller Sänger, aber ein mieser Tänzer ist, findet Jury-Präsidentin Sarah Connor „süß“. Sein unbeholfenes Ausbreiten der Arme während des Halbfinal-Songs „Angel“ von Sarah McLachlan erinnert etwas an die Kanzlerin beim Torjubel. Die Wirkung des Liedes hatte Connor vorausgeahnt: „Da wird sicherlich das ein oder andere Tränchen wieder fließen - bei David.“ Sie sollte Recht behalten.

Die zweite Finalistin ist die Berliner BWL-Studentin Raffaela Wais. Die 22-Jährige wird als Diva vom Dienst gehandelt: „Sie wirkt auf mich wie ein Mädchen, dass noch nicht allzu viel kämpfen musste in ihrem Leben“, sagte Connor. Der Bitte Till Brönners nach mehr Herz kam die distanzierte Raffaela beim Halbfinale schließlich nach: Im hautengen Goldkleid überzeugte sie mit Beyoncés „Single Lady“ nicht nur den männlichen Teil der Jury.

Favoriten auf den Gesamtsieg und den ausgelobten Plattenvertrag aber sind Nica & Joe aus Köln. Das Duett aus der gebürtigen Polin Veronika Belyavskaya (24) und dem US-Opernsänger Joseph Guyton (31) überzeugte Jury und Publikum Sendung für Sendung. Sarah Connor schätzt an Nica & Joe ihr musikalisches „Alleinstellungsmerkmal“: Die beiden schwanken zwischen Klassik und Pop - der Paul-Potts-Moment lässt grüßen.

Bei aller Abgrenzung kommt die Jury bei „X Factor“ doch klassisch daher: Schnösel, Glamour-Girl, Rüpel. Till Brönner, Sarah Connor und Rapper Das Bo liefern einen tadellosen Querschnitt durch die Klischeevorstellung des Musikbusiness. Eine zusätzliche Besonderheit der Show: Die Juroren sind zugleich Mentoren einzelner Kandidaten und so auch untereinander Konkurrenten. Dadurch kommt es wenigstens in der Jury manchmal zu Kabbeleien.

Nach Monaten des Aussiebens sind aus 25 000 Bewerbern drei Acts übrig geblieben. Trotz der Freude über die Talente: Mit der Quote von „X Factor“ kann Vox nicht übermäßig zufrieden sein: Durchschnittlich 10,2 Prozent Marktanteil in der werberelevanten Zielgruppe liegen zwar über dem Senderdurchschnitt von derzeit 7,4 Prozent, scheinen aber nicht genug für das teure Prestige-Projekt. Die letzte Staffel von Daniela Katzenberger fuhr bessere Quoten ein. „Wir hätten uns mehr erwartet“, bestätigt eine Sprecherin. Ob es eine dritte Staffel geben wird, ist unklar.

Die Konkurrenz steht da wesentlich besser da: Die gerade neugestartete Castingshow „The Voice of Germany“ bescherte ProSieben und Sat.1 bislang Top-Quoten von bis zu 27 Prozent in der Zielgruppe - und kommt dabei ebenfalls ohne Häme und Spott aus.