Demonstration Gewalt bei Protesten im Iran - Fußballer singen Hymne nicht mit

Das iranische Nationalteam in Katar schweigt während der Nationalhymne demonstrativ. Im Iran gehen Sicherheitskräfte Augenzeugen zufolge unterdessen zunehmend brutal gegen Demonstranten vor.

Die iranischen Fußballer schwiegen während der Nationalhymne.

Foto: dpa/Mike Egerton

Bei Protesten in Kurdengebieten im Westen und Nordwesten des Irans haben sich laut Augenzeugen bürgerkriegsähnliche Szenen abgespielt. In den Städten Dschwanrud und Piranschahr gab es demnach am Montag heftige Auseinandersetzungen, wobei iranische Sicherheitskräfte wahllos auf Demonstranten geschossen haben sollen. Am Sonntag waren Einsatzkräfte bereits sehr hart gegen Demonstranten in der kurdischen Stadt Mahabad vorgegangen. Anwohnern zufolge soll es mehrere Tote und Verletzte gegeben haben. Die Schilderungen aus den Kurdengebieten ließen sich nicht unabhängig überprüfen. Auch aus anderen Landesteilen gab es am Montag zunächst unbestätigte Berichte über Zusammenstöße zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften.

Von der Fußball-WM in Katar kam unterdessen am Montag eine Geste, die Beobachter als ein bedeutendes Zeichen der Solidarität mit den systemkritischen Demonstranten im Iran verstanden: Die Spieler der iranischen Nationalmannschaft sangen beim WM-Auftaktspiel gegen England ihre Nationalhymne nicht mit. Der iranische Staatssender unterbrach seine Live-Übertragung bei der Hymne. Den Spielern könnten nun Konsequenzen drohen. Im Iran war spekuliert worden, dass sie möglicherweise gesperrt werden, sollten sie bei der Hymne schweigen.

Iranische Aktivisten hatten auf eine solche Geste der Spieler gehofft. Der Kapitän der Mannschaft, Ehsan Hajsafi, hatte am Sonntag sein Beileid für die trauernden Familien der Opfer im Iran ausgedrückt. Die Mannschaft habe zu akzeptieren, dass die Bedingungen im Land nicht gut und die Menschen nicht glücklich seien. Dessen seien sich die Spieler bewusst, sagte er.

Grünen-Chef Omid Nouripour ging schon vor dem Spiel davon aus, dass die iranische Nationalmannschaft ihr Auftaktspiel zur Solidarisierung mit den Demonstranten nutzen würde. „Bis auf zwei Spieler äußerten sich bisher alle kritisch gegenüber dem Regime, keiner singt die Nationalhymne mit oder freut sich nach Toren“, sagte er im „kicker“-Interview (Montag). Das Turnier biete eine Bühne, auf der „diese Mannschaft sehr viel bewegen und sehr viel Aufmerksamkeit für die Notlage der Leute und die Proteste erzeugen kann“ - ohne dass die Staatsführung in Teheran viel dagegen tun könnte. „Im Iran ist Fußball die Ablenkung von einer Religion, die vom Staat in allen Facetten aufgezwungen wird“, sagte Nouripour. Die Nationalmannschaft biete da immer wieder ein Fenster nach draußen.

Seit dem Tod der iranischen Kurdin Mahsa Amini Mitte September gibt es anhaltende Proteste im Iran. Sie richten sich gegen das konservativ-religiöse System der Islamischen Republik sowie gegen den autoritären und kompromisslosen Kurs der Regierung. Die junge Frau war in Polizeigewahrsam verstorben, nachdem sie wegen Verstoßes gegen die islamischen Kleidungsvorschriften festgenommen worden war. Zehntausende zogen seither auf die Straßen. Nach Schätzungen von Menschenrechtlern wurden im Zuge der Proteste bereits Tausende Iranerinnen und Iraner festgenommen und Hunderte Menschen getötet.

Die iranischen Revolutionsgarden (IRGC) griffen unterdessen in der Nacht zum Montag erneut Ziele im benachbarten Nordirak an. Mit Raketen und Drohnen seien Stützpunkte kurdischer Separatistengruppen angegriffen worden, berichtete die iranische Nachrichtenagentur Tasnim auf Twitter. Bereits in den vergangenen Wochen hatte Teheran immer wieder Stellungen im Nordirak bombardieren lassen. Teheran wirft den Kurden im Nordirak vor, die Proteste gegen die Regierung und das islamische Herrschaftssystem im Iran zu unterstützen.

Die Revolutionsgarden sind im Iran die Eliteeinheit der Streitkräfte und weitaus wichtiger als die klassische Armee. Sie unterstehen direkt dem obersten Führer des Landes, Ajatollah Ali Chamenei, der in allen strategischen Belangen das letzte Wort hat.

(dpa)