Wunder der Technik Gleisbauarbeiten zwischen Köln und Düsseldorf: Höllenmaschine schafft alles auf einmal

Zwischen Köln und Düsseldorf wird ein Gleisumbauzug eingesetzt, der einmalig ist in der Welt. Den Austausch des Schotters, der Schwellen und der Schienen erledigt der Koloss in einem Arbeitsgang.

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Köln. Es rattert. Ruckelt. Zischt. Quietscht. Rumst. Ein ohrenbetäubender Lärm, Unterhaltung unmöglich. Mühselig bewegt sich die Höllenmaschine von der S-Bahn-Station Köln-Stammheim in Richtung Düsseldorf, 180 Meter in der Stunde. Das ist Schneckentempo — und doch eine irre Geschwindigkeit. Denn dieses 4000 PS starke Ungeheuer der Konstruktionskunst frisst auf seiner Fahrt vorne das komplette alte Gleisbett samt Schwellen und Schienen und spuckt hinten das neue wieder aus. Fertig verlegt, verschraubt, befahrbar. Bis zu 1800 Meter pro Tag, 22 Kilometer in sechs Wochen. Straßenbauer können davon nur träumen.

Die alten Schienen raus, die neuen Schienen rein — und das alles auf einem zuvor eingebauten Schotterbett samt Betonschwellen: Die Reinigungsumbaumaschine RU 800-S ist ein Ungeheuer der Konstruktionskunst.

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Für Ingo Struck ist auch das Tausende Tonnen schwere Ungetüm ein Traum. Oder besser: ein Wunderwerk, „einmalig auf der Welt“. Struck weiß noch, wie das ist, so ein Gleis von Hand zu verlegen. Er hat das gelernt, damals, in Rostock. Jetzt ist ist der robuste Kerl mit der blauen Kappe leitender Bauüberwacher der österreichischen Firma Swietelsky und damit auf der Baustelle zwischen Köln und Düsseldorf dafür zuständig, dass alles rundläuft mit der Reinigungsumbaumaschine RU 800-S, wie der Koloss im Branchenjargon heißt.

Es ist eine Strecke, die zu den Herzstücken des öffentlichen Nahverkehrs im Rheinland zählt. Umso schmerzvoller ist gerade für regelmäßige Pendler die Sperrung der beiden Fernbahngleise. 260 Züge verkehren hier sonst pro Tag,. „Wir muten den Kunden einiges zu“, räumt Dirk Pohlmann, NRW-Sprecher der Deutschen Bahn, ein. Schmerzlichster Einschnitt: der Ausfall der Regionalexpress-Linie 5 zwischen Düsseldorf-Hauptbahnhof und Köln-Deutz. Ausweichmöglichkeiten bestehen über die Linien RE 1 und RE 6.

Die alten Schienen raus, die neuen rein und das in einem Arbeitsgang. Foto: dpa

Aber Pohlmann spricht auch von einer „großen logistischen Leistung“. Der Bahn ist sie insgesamt 11,5 Millionen Euro wert. Im ersten Bauabschnitt seit dem 9. April sind bereits acht Kilometer Gleise zwischen dem Düsseldorfer Hauptbahnhof und Reisholz verlegt worden. Dann absolvierte der europaweit gefragte Gleisumbauzug eine Stippvisite im Allgäu. Seit Mittwoch kämpft er sich in der zweiten Bauphase von Köln nach Reisholz. Wenn die Arbeiten plangemäß am Pfingstsamstag beendet sein werden, sind 43 Kilometer Schienen aus- und wieder neu eingebaut, 36 000 Altschwellen gegen neue Betonschwellen ausgetauscht und 26 000 Tonnen neuer Schotter verteilt worden.

Die RU 800-S ist dabei tagsüber ein sich selbst ernährendes Monster. Wer den Werbeprospekt mit der Zugdarstellung ausklappt, hat fünf DIN-A4-Blätter nebeneinander liegen. Da wimmelt es nur so von Schwellenaufnahmeaggregaten, Schotterverteileinrichtungen, Flankenfräsen, Doppelsiebwagen und Neuschotterverladebändern.

Der sachunkundige Betrachter vor Ort verliert allerdings irgendwann den Überblick beim Versuch, die parallelen Arbeitsschritte noch auseinanderzuhalten. Dann sieht er nur noch Förderbänder voller Schotter von irgendwo nach nirgendwo und stellt staunend fest, dass der alte Aushub irgendwann auf seinem geheimnisvollen Weg hinter den eisernen Wänden und Verkleidungen gesiebt, gereinigt und sortiert wird.

Im Grunde funktioniert das Ganze nach dem Aschenputtel-Prinzip: die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen. Was vom alten Schotter noch verwendbar ist, wird hinten zusammen mit dem neuen Material wieder eingebaut. Der aussortierte Rest wird über Kippwagen auf dem benachbarten Logistikgleis abtransportiert.

Derweil sausen zwei Portalkräne auf dem Zug hin und her, um die alten Schwellen aufzunehmen und von den Transportwagen im vorderen Teil des Zuges neues Material heranzuschaffen. Als Tagesration werden 3000 Schwellen mitgeführt, am Abend sind sie verfüttert. Die Nacht dient dazu, die Bestände wieder aufzufüllen.

Insgesamt 700 Meter ist der Gleisumbauzug lang. Das Gleis links daneben ist aus Logistikgründen auch gesperrt. Foto: dpa

Und dann ist da noch in all der Massigkeit — ein Schwebebereich. Dort, wo das alte Gleis schon aufgenommen und das neue noch nicht fertig verlegt ist, hat die Maschine über eine Länge von 50 Metern keinen Bodenkontakt. Stattdessen sieht man von der Seite drei orangene Beinpaare. Die dazugehörigen Arbeiter müssen nun allerdings keine Tonnenlast auf ihren Schultern tragen: Sie gehen im Inneren des Zuges mit und kontrollieren, dass bei der Verlegung alles korrekt verläuft. Im Notfall können sie mit gewaltigen Hydraulikschraubern nachbessern.

Insgesamt 27 Arbeiter halten die 13 Jahre alte Maschine täglich bei Laune. Damit sich inmitten all der Tonnengewichte nicht tödliche Routinen einschleifen, hat der Maschinenführer eine Regel eingeführt: Jeder muss alles können und routiert regelmäßig von einem zum anderen Arbeitsplatz. Das erhöht die Aufmerksamkeit.

In zwei Jahren soll der Nachfolger der RU 800-S fertig sein. Er wird noch mehr können. Der Trupp, der im Vorlauf die Schienen losschraubt, wird dann auch nicht mehr nötig sein.