Berufungsgericht Haftstrafe für Oscar Pistorius mehr als verdoppelt

Bloemfontein (dpa) - Der unterhalb der Knie amputierte Spitzensportler Oscar Pistorius hat durch eine Toilettentür vier Schüsse auf seine Freundin gefeuert. Sie hatte keine Chance, Reeva Steenkamp war sofort tot.

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Gut viereinhalb Jahre nach der Tat, und viele Prozesstage später, ist dem Opfer nun nach Ansicht der Staatsanwaltschaft Gerechtigkeit widerfahren: Das oberste Berufungsgericht Südafrikas hat die Haftstrafe des 31-jährigen Pistorius am Freitag auf 13 Jahre und fünf Monate mehr als verdoppelt.

„Es ist jetzt klar, dass wir vor dem Gesetz alle gleich sind“, erklärte der frühere Staatsanwalt Gerrie Nel, der den Fall durch zwei Instanzen gefochten hatte, um eine höhere Haftstrafe zu erzielen. „Es wurde Gerechtigkeit erreicht.“ Eine Anwältin der Eltern des Opfers erklärte, die Steenkamps hätten immer Vertrauen in die Justiz gehabt. Reeva Steenkamp könne „jetzt in Frieden ruhen“. Für die Familie schließe das Urteil ein Kapitel, sagte Anwältin Tania Koen. „Aber es wird nie einen Schlusspunkt geben, weil sie Reeva noch jeden Tag vermissen, noch jeden Tag ihren Verlust bedauern.“

Pistorius war wegen der tödlichen Schüsse vom Valentinstag 2013 auf Steenkamp, ein aufstrebendes Modell, im Juli 2016 wegen Totschlags zu sechs Jahren Haft verurteilt worden. Auf Totschlag stehen in Südafrika jedoch normalerweise mindestens 15 Jahre Gefängnis. Die Staatsanwaltschaft hatte das Strafmaß daher als „schockierend milde“ bezeichnet und Berufung eingelegt. Pistorius habe seine Tat nie schlüssig erklären können und keine wirkliche Reue gezeigt, erklärte eine Staatsanwältin vor dem Berufungsgericht.

Der unterhalb der Knie amputierte Ex-Sprinter war im Waffengebrauch geschult. Vor Gericht beteuerte er, dass er einen Einbrecher in seinem Haus vermutet habe, als er die Schüsse durch die Toilettentür feuerte. Die Staatsanwaltschaft argumentierte, dass Pistorius mit den Schüssen in die enge Toilette wissentlich den Tod eines Menschen in Kauf genommen hatte - egal, ob er aus Ärger auf seine Freundin schießen wollte, oder in vermeintlicher Selbstverteidigung auf einen Einbrecher. Pistorius, der in der Hauptstadt Pretoria inhaftiert ist, war bei der Urteilsverkündung in Bloemfontein nicht anwesend.

Sein Fall vom international gefeierten Athleten zum Todesschützen und die darauf folgende lange juristische Auseinandersetzung hatten weltweit Aufsehen erregt. Der Sprinter Pistorius hatte bei Paralympischen Spielen auf eigens angefertigten Karbon-Prothesen sechs Goldmedaillen gewonnen. In London startete er 2012 als erster beinamputierter Sportler der Geschichte bei den Olympischen Spielen.

Richterin Thokozile Masipa hatte Pistorius in erster Instanz wegen fahrlässiger Tötung verurteilt. Die Staatsanwaltschaft ging dagegen in Berufung und erzielte ein Urteil wegen „Mordes“. Das entspricht im deutschen Recht dem Totschlag. Daraufhin verhängte Richterin Masipa 2016 ein neues Strafmaß, sie erkannte Pistorius jedoch erneut mildernde Umstände zu. „Er ist ein gefallener Held, er hat seine Karriere verloren, er ist finanziell ruiniert“, hatte sie bei der Urteilsverkündung gesagt. Er sei Ersttäter und habe Reue gezeigt, nun müsse er eine Chance haben, sich zu rehabilitieren.

Der einstimmige Beschluss des Gerichts in Bloemfontein sei es hingegen, dass es keine „substanziellen und überzeugenden“ Umstände gebe, die ein Abweichen von der Mindeststrafe von 15 Jahren erlaubten, erklärte Richter Willie Seriti am Freitag. Bei der Bemessung des neuen Strafmaßes berücksichtigte das Gericht allerdings die bereits von Pistorius abgesessene Zeit.

Während des Verfahrens hatte Pistorius wiederholt geweint, bei der Nachstellung der Tat übergab er sich sogar im Gericht. Aber die Emotionen des Prozesses bleiben in einer Berufung, in der nur die juristische Sachlage geprüft werde, außen vor, erklärte Anwalt Ulrich Roux. „Dabei gibt es eine höhere Chance, dass das Recht fair zur Anwendung kommt. Es geht nur um juristische Argumente“, sagte Roux dem örtlichen Nachrichtensender eNCA. Pistorius' Anwälte könnten das neue Strafmaß theoretisch noch vor dem Verfassungsgericht anfechten.

Das zunächst relativ milde Urteil hatte in Südafrika Empörung ausgelöst. Für viele war es ein Zeichen gewesen, dass wohlhabende Angehörige der weißen Minderheit vor Gericht immer noch besser behandelt werden als Schwarze. Die Frauenorganisation der Regierungspartei ANC kritisierte zudem, das Urteil sende ein fatales Signal der Nachsicht gegenüber häuslicher Gewalt. Dem schloss sich nun auch das Gericht in Bloemfontein an: Richter Seriti erklärte, die Strafe der vorigen Instanz sei „so schockierend milde, dass sie den Effekt hat, diese schwere Straftat zu banalisieren.“