Sexismus Harvey Weinsteins tiefer Fall
Los Angeles (dpa) - Harvey Weinstein hatte alles. Seit Jahrzehnten war der Filmproduzent in Hollywood äußerst erfolgreich. Neben seiner Frau und berühmten Schauspielerinnen strahlte er auf dem roten Teppich, seine Filme gewannen reihenweise Oscars.
Nun steht der 65-Jährige vor den Trümmern seines Lebens und seiner Karriere. Seine Produktionsfirma feuerte ihn, die Ehefrau packte ihre Koffer - und von der Oscar-Akademie wurde Weinstein am Samstag ausgeschlossen.
Über Weinstein bricht eine Welle von Vorwürfen der sexuellen Belästigung und sogar der Vergewaltigung herein. Mittlerweile sind es Medienberichten zufolge fünf Frauen, die dem Produzenten der Vergewaltigung beschuldigen. Andere berichten von Belästigungen, Grapschereien, Drohungen.
Gerüchte gab es wohl schon seit Jahren in Hollywood. Viele der Opfer - und Mitwisser - sagen, sie hätten bislang aus Furcht geschwiegen, auch um ihre Karrieren. „Ich habe Angst, dass Harvey mein Leben ruiniert, wenn er rausfindet, wer ich bin“, sagte ein Ex-Mitarbeiter dem Magazin „New Yorker“, das viele der Vorwürfe ans Licht brachte. Nicht wenige arbeiteten auch nach solchen Vorfällen weiter mit Weinstein zusammen.
Zahlreiche Schauspielerinnen, Models und Mitarbeiterinnen des Produzenten hatten sich mit Belästungungs- und Missbrauchsvorwürfen gegen den Produzenten zu Wort gemeldet, darunter Ashley Judd, Eva Green, Angelina Jolie, Gwyneth Paltrow, Kate Beckinsale, Cara Delevingne und Léa Seydoux. Neben der amerikanischen Schauspielerin Rose McGowan beschuldige auch die Britin Lysette Anthony Weinstein der Vergewaltigung, berichtete die britische „Times“. Dieser Fall soll sich in den 80er Jahren ereignet haben. Die Polizeibehörden in New York und London kündigten an, Ermittlungen gegen Weinstein aufnehmen zu wollen.
Am Samstag fällte die Oscar-Akademie in einer Dringlichkeitssitzung die Entscheidung, Weinstein mit sofortiger Wirkung auszuschließen. Er verdiene nicht den Respekt seiner Kollegen, hieß es zur Begründung in einer Mitteilung der Institution. Deutlich mehr als die benötigten zwei Drittel der Mitglieder hatten sich für den Rauswurf ausgesprochen.
Der 54-köpfige Vorstand, dem unter anderem die Oscar-Preisträger Steven Spielberg, Tom Hanks und Whoopi Goldberg angehören, wolle damit auch die Botschaft senden, „dass die Ära von vorsätzlicher Ignoranz und schmählicher Mitschuld bei sexuell rücksichtslosem Verhalten und Belästigungen am Arbeitsplatz in unserer Branche vorbei ist“. Erst einmal - 2004 - hatte die Filmakademie in ihrer langen Geschichte ein Mitglied ausgeschlossen. Damals ging es um die unrechtmäßige Weitergabe von Filmbändern.
Eine Sprecherin des Filmmoguls hatte die Anschuldigungen nach Bekanntwerden der ersten Vorwürfe noch zurückgewiesen: „Jegliche Vorwürfe von Sex, der nicht in beiderseitigem Einverständnis stattgefunden hat, werden von Herrn Weinstein eindeutig verneint.“
Prominente Branchen-Kollegen haben sich inzwischen von Weinstein distanziert. Filmstars wie Meryl Streep, Ryan Gosling, Tom Hanks, Leonardo DiCaprio und Michael Moore zeigten sich erschüttert über die mutmaßlichen sexuellen Übergriffe und den Machtmissbrauch des Moguls.
Oscar-Preisträger Moore, der mit Weinstein für seine Dokumentation „Fahrenheit 9/11“ zusammenarbeitete, rief am Freitag in einem längeren Facebook-Eintrag dazu auf, „eine Welt ohne Harveys“ zu schaffen. Moore bezeichnete Weinstein als einen „erfolgreichen Soziopathen“, dem es über Jahre hinweg gelungen sei, Frauen heimlich zu missbrauchen. Er selbst habe nichts von Weinsteins Übergriffen gewusst.
Schauspieler Colin Firth sagte, er schäme sich, nichts unternommen zu haben, als seine Kollegin Sophie Dix ihm vor Jahren von einem Übergriff erzählt habe. „Ich habe nichts getan nach dem, was sie mir erzählt hat.“
Von seinem Filmstudio The Weinstein Company (TWC), das er zusammen mit seinem Bruder Bob gegründet hat, ist Harvey Weinstein bereits entlassen worden. In einem am Samstag veröffentlichten Interview mit der Filmzeitschrift „Hollywood Reporter“ sprach sich Bob Weinstein (62) für den Rauswurf seines Bruders aus der Oscar-Akademie aus. „Ich bin beschämt und angewidert“, sagte der Unternehmer. Harvey sei arrogant, aufbrausend und betrügerisch gewesen, aber von dem ganzen Ausmaß seiner mutmaßlichen Vergehen habe er nichts gewusst.
Harvey Weinstein war seit mehr als 20 Jahren Mitglied der Oscar-Akademie. Seine mit den Miramax-Studios und der Weinstein Company produzierten Filme wurden von der Academy mit mehr als 80 Oscars ausgezeichnet. Fünf davon gewannen den Oscar als bester Film, für „Shakespeare in Love“ holte Weinstein persönlich den Oscar als bester Produzent.
Für die Akademie könnte dies der Beginn eines problematischen Prozesses werden, schrieb der „Hollywood Reporter“. Denn in ihren Reihen gibt es noch andere umstrittene Mitglieder wie etwa Bill Cosby oder Roman Polanski.