Historiker Hans-Ulrich Wehler gestorben
Berlin/Bielefeld (dpa) - Hans-Ulrich Wehler, einer der bedeutendsten Historiker Deutschlands ist tot. Wehler starb in der Nacht zum Sonntag im Alter von 82 Jahren in Bielefeld, wie Wehlers Freund und Kollege Jürgen Kocka bestätigte.
Bundespräsident Joachim Gauck nannte Wehler eine „unverwechselbare Instanz der Orientierung in unserer Gesellschaft“. Wehler habe weit über die akademische Diskussion hinaus die öffentliche Meinungsbildung bereichert, schrieb Gauck an Wehlers Witwe. „Wir verdanken Ihrem Mann wertvolle Einsichten, die über den Tag hinaus Bestand haben werden.“
Bis zuletzt mischte sich Wehler in gesellschaftliche Debatten ein. Er verlangte eine bessere Integration von Einwanderern, kritisierte große Einkommensunterschiede in Deutschland und forderte einen Mindestlohn. 1986 hatte er sich in den sogenannten Historikerstreit eingeschaltet und sich gegen die Relativierung der deutschen Schuld am Holocaust gewandt.
Der am 11. September 1931 in Freudenberg bei Siegen geborene Wehler gilt als einer der Väter der „Historischen Sozialwissenschaft“. In seinen Arbeiten ging er stärker auf langfristige politische, wirtschaftliche, soziale und kulturelle Strukturen und Prozesse als auf Menschen und Ereignisse ein. Einige Kritiker warfen ihm das vor.
Der Freiburger Historiker Ulrich Herbert sagte der Nachrichtenagentur dpa, Wehler habe die deutsche Geschichtswissenschaft modernisiert wie kein anderer Historiker nach 1945. „Wehler hat eine ungeheure Wirkung erzielt.“ Er habe das Geschichtsbild „weit über die Universitäten hinaus bis in die Schulen und in das öffentliche Bewusstsein verändert“. Niemand käme heute beispielsweise auf die Idee, die Debatte um den Ersten Weltkrieg ohne den Blick auf die Entwicklung von Wirtschaft, Gesellschaft, Öffentlichkeit und Kultur zu führen.
2008 vollendete Wehler nach mehr als 25 Jahren sein Opus Magnum, die fünfbändige „Deutsche Gesellschaftsgeschichte“ über die Zeit von 1700 bis 1991 - ein Standardwerk der deutschen Geschichtsschreibung mit zusammen 4500 Seiten. Ein Klassiker ist auch seine Analyse „Das deutsche Kaiserreich 1871-1918“ von 1973.
Wehler lehrte von 1971 bis zu seiner Emeritierung 1996 in Bielefeld. Dort baute er in den frühen 70ern die Geschichtsfakultät an der Universität mit auf. „Die Universität Bielefeld verliert mit Hans-Ulrich Wehler eine ihrer größten Persönlichkeiten“, erklärte Rektor Gerhard Sagerer. Wehler habe „mit seinen bahnbrechenden und wirkungsreichen Publikationen Generationen von Historikern geprägt“. Im Laufe seiner Karriere hatte Wehler auch Gastprofessuren an den US-Universitäten Harvard, Princeton, Stanford und Yale inne.
Wehler erhielt zahlreiche Auszeichnungen. Als einem der wenigen Geisteswissenschaftler wurde ihm 2004 die Helmholtz-Medaille zuerkannt, die höchste wissenschaftliche Auszeichnung der Berlin- Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. 2006 wurde er Ehrenmitglied der American Academy of Arts & Sciences.
Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) würdigte Wehlers Lebensleistung. Mehr als andere Historiker habe Wehler die soziale Dimension historischer Prozesse sowie ihre Ursachen und Wirkungen beschrieben.