Interview: Geigerin Anne-Sophie Mutter ist verliebt in Mozart
Düsseldorf. Frau Mutter, Sie sagen, Sie haben sich schon als Kind in Mozart verliebt. Wie hält man solch eine Liebe frisch, insbesondere wenn das Gegenüber sich so passiv verhält.
Mutter (lacht): Na, das ist ja vielleicht schon die Erklärung. Mozart ist außerdem einer der ganz wenigen Komponisten, die ein fast unerschöpfliches Repertoire für Geige geschrieben haben. Allein dieses Schaffensvolumen bringt immer wieder neue Facetten. Ich habe Mozart kennengelernt als Neunjährige, vor wenigen Jahren habe ich die 16 wichtigsten Sonaten von ihm aufgeführt. Diese haben mir einen völlig neuen Zugang zu ihm eröffnet, weil sich der Dialog zwischen den Instrumenten bei ihm immer weiter verdichtet hat. Im übrigen bin ich sowieso kein Mensch, der sich mit großer Kunst langweilt. Ich bin von Leidenschaft getrieben, ich müsste mich eher bremsen, als dass ich mich künstlich in eine Begeisterung steigern müsste.
Üben Sie viel?
Mutter: Ich bin kein Musiker, der durch Wiederholung lernt, ich übe auch im Kopf. Mit Wiederholungen erreichen Sie eigentlich gar nichts. Die Vertiefung eines Inhalts erreicht man durch Analyse. Aber auch das ist keine Garantie — eine Garantie ist was für Waschmaschinen und nicht für Musiker. Aber wenn ich mich für etwas interessiere, ist es selbstverständlich, dass ich mich vervollkommnen will. Das sehe ich auch bei meinen Sohn, der sehr gut Tennis spielt. Der brennt darauf, in den Unterricht zu gehen und am Wochenende noch Turniere zu spielen — auch wenn er dafür samstags sehr früh aufstehen muss. In Ihrer Stiftung zur Förderung junger Musiker finden sich auffallend viele Musiker aus Osteuropa und Asien.
Warum können diese jungen Leute das besser, arbeiten sie härter?
Mutter: Offensichtlich ist es so, dass unter den Bewerbern, die bei mir landen, mehr begabte Asiaten sind. Es spricht ja auch für sich, dass beim Tschaikowsky-Wettbewerb in diesem Jahr in jeder Sparte zwei bis drei Koreaner unter den Gewinnern waren. Das heißt nicht, dass man in Korea und anderen asiatischen Ländern unsere Musik besser versteht. Auch den Musikern von dort mangelt es oft an Interpretationstiefe und Stilgefühl. Aber es ist eine technische Basis vorhanden, die der anderer Musiker oft überlegen ist und nur damit kann dann der mühsame Weg der Interpretation beschritten werden. Bei uns wird Musik zu wenig und zu spät gefördert — das ist ja seit Jahren ein Anliegen von mir. Sie haben für Kindergartenkinder in Bayern ein Konzept zur Musikförderung entwickelt.
Wie sieht das aus?
Mutter: Vielfältig. Die Kinder sollten Instrumente kennenlernen, dazu sollte ein rudimentäres Basiswissen aufgebaut werden. Sie sollten die Notenschrift lernen, gemeinsam singen und möglichst Kinder-Opernaufführungen besucht. Meine Kinder beispielsweise sind damit aufgewachsen und haben es geliebt. Das Ganze sollte natürlich spielerisch geschehen, zumal sie ja in einem perfekten Alter für den Ausbau ihrer haptischen Fähigkeiten sind. Zugleich geht es dabei um Gefühle, um das Miteinander und auch um den Austausch von Kulturgütern. Wir haben so viele Migrantenkindern — wo die Sprache noch nicht zur Verständigung dient, können Lieder eine wunderbare Brücke sein.
Wie viel davon ist umgesetzt?
Mutter: Ich predige immer wieder, es gibt auch das Programm. Aber Kinder, die Musikunterricht haben möchten, haben keine Lobby. Ihre Kinder hatten die denkbar beste musikalische Erziehung. Die beiden treten aber nicht in Ihre Fußstapfen.
Enttäuscht sie das?
Mutter: Nein, überhaupt nicht. Meine Tochter hatte im Abitur auch auf Kunst gesetzt, mein Sohn auf Musik. Ich bin glücklich, dass meine Leidenschaften ein bisschen Sternenstaub im Leben meiner Kinder hinterlassen, auch weil es für beide eine bereichernde Auseinandersetzung geworden ist. Und weil Musik ein schönes Hobby ist, etwas, das für immer bleibt. Sie spielen seit vier Jahrzehnten vor Publikum.
Hat sich die Hörkultur in den Konzertsälen geändert?
Mutter: Ja, ich finde, das Publikum ist heute sehr viel aufgeschlossener, was zeitgenössische Musik angeht. Und zwar weltweit — da hat sich unglaublich viel getan.
Hat sich die Konzentration im Saal geändert?
Mutter: Na ja, die Jahreszeiten, in denen gehustet wird, gab’s schon immer. Egal, welche Fortschritte die Medizin macht, wer husten will, der hustet.
Gibt es Unterschiede zwischen den Konzertorten?
Mutter: In Asien, insbesondere in Taiwan ist das Publikum unglaublich jung. Da kommen Leute ab 20 mit ihren kleinen Kindern, da ist Klassik total hip. Das ist natürlich für einen Musiker toll, deswegen reisen wir alle so gern nach Taiwan.
Von welchen Faktoren hängt es ab, ob ein Konzert gelingt?
Mutter: Natürlich spielt die Akustik eine Riesenrolle. Dann ob die Instrumente in der Lage sind, die Tempi wiederzugeben, die wir musikalisch für sinnvoll halten. Extreme Feuchtigkeit ist gar nicht gut, weil dann der Geigenbogen — wie unsere Haare — spannungslos wird. So etwas wie der letzte Satz der Mendelssohn-Sonate wird dann zum Ritt durch die Hölle. Hat man zu viel geprobt oder zu wenig, hat man zu wenig oder zu viel geschlafen? Wie ist der Zuhörer disponiert? Ein todsicheres Rezept gibt es einfach nicht, es ist jedes Mal eine Reise ins Ungewisse zu einem gewissen Teil.
Aber gerade Sie gelten doch als Perfektionistin?
Mutter: Ja logisch, das ist immer das oberste Ziel. Wobei: Perfektion im Auge des Betrachters ist immer auch ein Mangel an Fantasie. Perfektion gibt es nicht. Trotzdem eilt man seinem Ideal nach. Sie haben keinen Agenten, sondern organisieren Ihre Auftritte selbst.
Was ist der Vorteil?
Mutter: Doch ich habe eine Agentur in Amerika, sie kümmert sich auch um die Auftritte in Fernost. Aber hier in Europa betreut dies mein Büro. Ich entscheide gern selbst, mit wem ich arbeite, wann welches Repertoire reif für ein Konzert ist und wann ich zu Konzerten reise — die kann ich mir so einteilen, wie es meinen persönlichen Bedürfnissen entspricht, inwieweit ich mein Repertoire vergrößern kann — für mich ist das der Idealzustand. Das gibt mir auch Ruhe und Freiheit, die man nie erlangt, wenn noch eine weitere Person involviert ist, auch wenn die es noch so gut meint. Heute wird oft behauptet, die klassische Musik sei in der Krise.
Sehen Sie das auch so?
Mutter: Die Musik ist nicht in der Krise, die Musikindustrie ist in der Krise — das hat sie sich zum Teil auch selbst zuzuschreiben. Weil sie Künstler nicht mehr langsam aufbaut, sondern auf Show-Effekte setzt? Mutter: Dass man sich bei manchen wundert, warum sie da sind, wo sie sind — das ist dann Geschmackssache des Einzelnen, eben die normale Bandbreite vielfältigster Arten von Interpreten.
Wo ist dann das Problem?
Mutter: Schwierig wird es nur dann, wenn wir uns eine junges Publikum heranziehen, das wegen mangelnder früher Bildung und mangelndem Interesse an Vergleichsmöglichkeiten mit der Vergangenheit mit einem Mittelmaß zufrieden sein könnte, weil man es nicht besser kennt. Mit dem Zauberwort „neu“ kann man im Techniksektor wie bei Computern und Autos eine Weiterentwicklung kennzeichnen, aber nicht bei einer neu aufgenommenen CD. Und da muss in der Generation meiner Kinder ein Bewusstsein geschaffen werden, dass man sich auf Youtube eben auch mal was von 1950 anhört und erst dann bemerkt, warum man heute noch von Rubinstein spricht — und dass das Meiste, was heute so rumrennt, weit unter dem Niveau von damals liegt.
Was können Sie dagegen tun?
Mutter: Das können wir nur aufhalten, wenn wir immer wieder die Maßstäbe ganz hoch ansetzen. Und das hat nichts mit neu zu tun, nichts mit einer Million verkaufter CDs, sondern mit einer Qualität an Ernsthaftigkeit und Demut gegenüber dem Komponisten im Herzen trägt. Denn am Ende des Tages sind wir in der Welt nichts anderes als die Besenwischer des Komponisten. Wer sich nicht total happy damit arrangiert, ist hier fehl am Platz.