Kabarettist Jürgen Becker: „Kunst hält länger als Religion“
Der Kabarettist Jürgen Becker über Höhlenmalerei, Ahnungslosigkeit auf der Vernissage und Tote in Badewannen.
Düsseldorf/Köln. Was zeichnet Kunstwerke aus, wie kann man mit ihnen umgehen? Wenn man beispielsweise in eine Vernissage gerät und keine Ahnung hat? Darum geht es in „Dali, Dali“, dem neuen Buch des Kabarettisten und Moderators Jürgen Becker. Logisch, dass der 1959 geborene Kölner im Erstberuf Grafischer Zeichner, das alles nie bierernst präsentiert.
Herr Becker, in Ihrem neuen Buch entführen Sie den Leser in die Kunstgeschichte. Welches Verhältnis haben Sie zur Kunst?
Jürgen Becker: Bei moderner Kunst hatte ich schon als Jugendlicher immer den latenten Verdacht, hier wird man irgendwie verarscht. Heute bin ich Kabarettist und werde genau dafür bezahlt. Insofern hat die Kleinkunst eine Affinität zur bildenden Kunst.
Was gefällt Ihnen daran?
Becker: Wenn Kunst Distanz zur Welt schafft. Man bleibt an einem Kunstwerk hängen, spürt, da wird ein Nerv getroffen. Auch wenn ich es nicht direkt verstehe. Auch Humor schafft Distanz. Erst wer über den Dingen steht, kann sie belächeln.
Sie suchen also den Humor in der Kunst?
Becker: Genau, dann macht alles direkt viel mehr Freude. Schließlich ist Kunst das Nachhaltigste, was wir haben. Die Kunst hält sogar länger als die Religion. Die Höhlenmalerei von Lascaux (in Frankreich) ist 19 000 Jahre alt. Das hat noch keine Religion geschafft.
Viele sehen Ihr Buch in einer Buchhandlung und denken: Der Becker und Kunstgeschichte?
Becker: . . . wo der doch gar keine Ahnung hat.
Wie funktioniert Kunst?
Becker: Über Spiel. Künstler spielen mit Form und Farbe. Der Mensch muss spielen, um seine Sinne zu kalibrieren. Auch Tiere spielen. Wenn junge Hunde zusammen über eine Wiese tollen, üben die dabei „mit dem Feind kämpfen“. Spielen heißt also immer „Überleben üben“. Und vielen modernen Kunstwerken sieht man das an. Man steht vor einem modernen Kunstwerk und denkt: Was will uns das Bild sagen? Die Antwort ist meist einfach: „Der Künstler hat Hunger!“ Und geliebt werden will er wahrscheinlich auch noch.
Das Buch soll Wissenslücken schließen, dafür präsentieren Sie Dutzende von Gemälden, Skulpturen, Bauwerke. Geht man nach Lektüre Ihres Buches lockerer mit Kunst um?
Becker: Heiterer. Kunst lässt, wenn sie gut ist, dem Pompösen die Luft ab. Da treffen sich bildende Kunst und Kleinkunst. Das scheint zu funktionieren: Die Leute sagen mir, sie hätten jetzt mehr Freude an Kunst.
Soll man mit der Einstellung auf eine Vernissage gehen?
Becker: Die Angst, sich auf solchen Veranstaltungen zu blamieren, weil man nix von Kunst versteht, ist Quatsch. Wenn, dann blamiert sich der Künstler, das geht viel schneller. Sehen Sie es als nie versiegenden Quell der Erheiterung.
Sie sind ja bekannt auch für Ihre politischen Anspielungen. Wie bringt man den Revolutionär Jean Paul Marat und den Politiker Uwe Barschel zusammen?
Becker: Beide lagen tot in der Badewanne, auch wenn der eine Bestand in der Geschichte hat, der andere eine Episode ist. Das Gemälde muss man gesehen haben, grandios. Es hängt in Brüssel im Königlichen Museum der schönen Künste. Die Botschaft wirkt bis heute: Wer politisch tot ist, hängt am Ende in Brüssel rum.