Krimiautor Matthias Altenburg: „Es gab keine Stunde Null“

Autor Matthias Altenburg spricht im Interview mit der WZ über „Kommissar Marthaler“ und den Einfluss der NS-Zeit auf die Gegenwart.

Foto: Marius Becker

Frankfurt. Autor Matthias Altenburg alias Jan Seghers ist der Schöpfer von „Kommissar Marthaler“. Heute wird der Fall „Partitur des Todes“ im ZDF (20.15 Uhr) ausgestrahlt. Dabei spielt auch der Holocaust eine Rolle.

Herr Altenburg, in „Partitur des Todes“ erzählen Sie davon, wie die Ordnung des Nationalsozialismus und unsere heutige verbunden sind. Wie sehr bringen die Verbrechen von damals die Ordnung heute durcheinander?

Matthias Altenburg: Das Buch erzählt das Weiterwirken dessen, was damals geschehen ist. Es erzählt, dass so viele Jahre später noch einmal eine Bombe hochgeht. Jemand, der als geachteter Mitbürger und Wissenschaftler in unserem Land gelebt hat, wird plötzlich als sehr brutaler Täter der Nazi-Zeit entlarvt. Und offensichtlich hat diese Gesellschaft ihn geschützt. Das sagt, dass es keine Stunde Null gab.

Wie sehr wirkt die Katastrophe der NS-Zeit in die Gegenwart Ihrer Stadt hinein?

Altenburg: Das ist natürlich sehr gewagt, darüber zu sprechen. Aber ich merke im städtischen Bürgertum in Frankfurt eine Beifallshaltung, wenn Herr Walser die Diskussion beenden will. Und ich spüre, dass es auch hier Großväter und Väter gibt, die Reichtum zusammengeräubert haben, und dass die Enkel darüber nicht so gerne reden. Wenn man hinhört, ist das auf Schritt und Tritt spürbar. Dennoch werden hier Aufklärungsprojekte unterstützt — aber manchmal hat man den Eindruck, das ist ein bisschen dazu da, die eigene Geschichte vergessen zu machen. Und man spürt die Katastrophe in der Gegenwart der Nachfahren der Opfer, die hier leben.

Versucht man als moralisch bewusster Autor manchmal, den Rückbezug zum Nationalsozialismus mit Zwang herzustellen?

Altenburg: Nein. Aber es gibt natürlich ein Autoreninteresse an so einem Stoff. Ich wollte unbedingt einen Kriminalroman erzählen vor dem Hintergrund des größten deutschen Verbrechens. Die NS-Zeit ist ja auch eine Kriminalgeschichte. Das reizte mich. Und ich wollte sie nicht als historischen Roman schreiben, sondern als einen mit noch lebenden Tätern und Opfern. Da musste ich mich in der Tat beeilen.

Im Buch ist die Stadt ein starker Mitspieler. Sie beschreiben die Historie und das aktuelle soziale Gefüge. Im Film, wie in anderen TV-Krimis, tritt das in den Hintergrund. Geht da zu viel verloren?

Altenburg: Aber ja, mir fehlt oft das Spezifische. Auch der „Tatort“ belässt es zu oft bei einer Kulisse und durchdringt zu wenig den spezifischen Geist einer Stadt. Das würde die Filme reicher machen und sicherlich dem Verständnis dienen.

Gibt es inzwischen zu viele Krimis? Sogar TV-Kommissare beschweren sich manchmal darüber.

Altenburg: Ja. Die Konkurrenz hat die Krimis zwar besser gemacht. Aber insgesamt ist der Markt überschwemmt mit mittelmäßigen bis schlechten Krimis. Die Kritik daran sollte stärker sein. Ich fände es schön, wenn der Krimi insofern ernst genommen würde, dass er auf seine Funktionsweise selbst hinterfragt wird. Wie sind die Figuren gebaut? Sind sie glaubwürdig? Ist die Geschichte konsequent? Viele Krimi-Kritiker verlangen vom Kriminalroman eine Avantgarde-Funktion, wie sie bei anderer Literatur zurecht verlangt wird. Nur funktioniert das beim Kriminalroman nicht; er ist ein Genre des 19. Jahrhunderts. Er ist nur sehr bedingt tauglich für Versuche. Sprachliche Experimente im Krimi sind fast immer kontraproduktiv.