Kuballs „New Pott“: 100 Migrantenschicksale
Duisburg (dpa) - Multikulti im Ruhrgebiet, Schmelztiegel, Einwanderungsland - was hinter diesen Schlagworten steckt, wollte der Düsseldorfer Künstler Mischa Kuball erfahren.
Er wollte die Menschen hinter den Begriffen lebendig werden lassen. So zog er los mit Fotograf Egbert Trogemann, einer Videokamera und je einer Stehlampe als Gastgeschenk für 100 Menschen und Familien.
Für die Arbeit „New Pott“ besuchte er sie in ihren Wohnzimmern, sammelte ihre Geschichten von Flucht und Suche nach einem besseren Leben, von Ankommen und Heimsehnen. Eine Ausstellung im Duisburger Museum Lehmbruck zeigt in einer Ausstellung das Ergebnis seiner Entdeckungsreise: Fotos, Videos und natürlich Stehlampen mit kugelrundem Schirm.
„Licht steht auch für Aufklärung“, sagt Kuball. Der Lichtkegel habe aus den privaten Wohnräumen eine Bühne gemacht, auf der Einzelschicksale in den Fokus rücken konnten. Und so erzählen sie im Neonlicht ihrer ganz persönlichen Stehlampe ihre Geschichten: Die kurdische Familie Saeed wurde 1980 aus dem Irak vertrieben, über den Iran wanderte sie ins Ruhrgebiet ein - ihre Kinder sollten es einmal besser haben.
Die Israelin Idit Shlanger brachte ihr Germanistik-Studium und ein Job-Angebot nach Deutschland. Jetzt weiß sie nicht, ob und wann es sie wieder zurückzieht. Jean Louis Gatera aus Ruanda war vier Jahre alt, als Soldaten die Familie überfielen. Im Krieg verlor er seinen Vater, entfremdete sich von seiner Mutter, die zunächst wie Gatera und seine Geschwister in Deutschland Sicherheit suchte. Bis heute verfolgen ihn die Erlebnisse.
Das Projekt realisierte Kuball als Beitrag für das Kulturhauptstadtjahr Ruhr2010. Was er erfahren hat, hafte ihm bis heute an: „Man kann nicht hundert Geschichten hören und sich einfach wegdrehen“, sagt er. Er will, dass auch der Betrachter in diesen oft so fremden Geschichten Anknüpfungspunkte findet und versteht, dass hinter Einwanderungsstatistiken Einzelschicksale stehen. „Sobald sie die Gesichter sehen, bekommen Zahlen und Schicksale überhaupt eine Bedeutung.“
Im Untergeschoss des Duisburger Museums werden diese Schicksale noch bis zum 11. Mai einerseits als Video, andererseits als Schwarz-Weiß-Fotografien präsentiert. Damit sieht Kuball sich in der Tradition des wegweisenden Fotografen August Sander (1876 - 1964), der in seinem Bildatlas Menschen des 20. Jahrhunderts in charakteristischer Umgebung porträtierte.
Auch Kuball kartographiert. Seine Foto-Bewegtbild-Ton-Dokumentation ist ein Querschnitt vielfältiger Leben im frühen 21. Jahrhundert. Die Migrationserfahrungen interessieren dabei nicht nur im Ruhrgebiet, berichtet er. Es gibt schon Anfragen aus New York, Adelaide, São Paulo - denn Leben im Einwanderungsland ist etwas Globales.