Opfer 400 Meter mitgeschleift Küsse auf dem Zebrastreifen und ein „völlig sinnloser“ Tod
Frankfurt/Main (dpa) - Die Zärtlichkeiten eines Paares enden jäh auf einem Zebrastreifen im hessischen Kriftel. Ein 38-Jähriger und seine 41 Jahre alte Freundin küssen sich, einem Autofahrer passt das nicht.
Er gibt Gas, erfasst die beiden, reißt die Frau 400 Meter mit und in den Tod.
Das Landgericht Frankfurt hat den Mann deswegen zu fünfeinhalb Jahren Haft verurteilt - unter anderem wegen Körperverletzung mit Todesfolge. Der heute 27-Jährige habe „völlig sinnlos“ ein anderes Leben ausgelöscht, sagt der Vorsitzende Richter.
Mit schwarzer Kapuzenjacke sitzt der Angeklagte im voll besetzten Gerichtssaal. Einen grauen Wollschal hat er bis über den Mund gezogen. Während der fast einstündigen Urteilsbegründung starrt der schmächtige Mann meist mit gesenktem Kopf vor sich hin. Manchmal schaut er den Vorsitzenden Richter auch direkt an.
Und der findet deutliche Worte für den 27-jährigen Deutschen: Er habe eine „gravierende Charakterschwäche“ offenbart, als er im September 2015 das Paar wahrscheinlich aus bloßem Ärger umfuhr. An diesem Tag seien „Liebe und Tod auf unfassbare Weise aufeinandergetroffen“.
Das Paar hatte ein Volksfest in Kriftel im Main-Taunus-Kreis besucht und sich auf den Rückweg gemacht. An dem Zebrastreifen hätten sie auf ein Taxi gewartet und sich geküsst, berichtete der Lebensgefährte der 41-Jährigen zu Beginn des Prozesses im Oktober.
Den Wagen des Angeklagten habe er zunächst kaum wahrgenommen. Dann habe er die Stoßstange am Bein gespürt. Er erinnere sich noch an den Moment, an dem er auf der Straße lag. „Ich habe dann geschrien: Wo ist meine Frau? Wo ist meine Frau?“
Der Angeklagte hätte um das Paar einfach herumfahren können, sagt der Vorsitzende Richter. Er hätte hupen oder die Turteltauben ansprechen können. Doch er habe den Konflikt gewählt, er habe seinen Willen durchsetzen wollen und sei auf die beiden zugefahren. Und das an einem Zebrastreifen, der ein besonderer Schutzbereich für Fußgänger sei - selbst wenn diese dort stehen blieben.
Mit Tempo 25 erfasst der Angeklagte dem Gericht zufolge das Paar. Der Mann prallt zur Seite und wird leicht verletzt. Die Frau liegt auf der Motorhaube, doch der Angeklagte fährt weiter. Sie stürzt auf die Straße, gerät unter das Auto, wird überrollt und mitgeschleift. Der Angeklagte fährt weiter, immer weiter. Seine mitfahrenden Freunde rufen, er solle anhalten. Endlich tritt der Mann auf die Bremse. Er wählt den Notruf. Ihm sei „jemand vors Auto gelaufen“, soll er dabei gesagt haben.
Die Tat sei unfassbar und unerklärlich, setzt der Vorsitzende Richter seine Urteilsbegründung fort. Auch der Prozess habe die Motive des 27-Jährigen nicht aufdecken können. Der Angeklagte hatte zu Beginn des Verfahrens vom „größten Fehler meines Lebens“ gesprochen. Er will nach Angaben eines Verteidigers aber nicht gemerkt haben, dass sein Fahrzeug die Frau überrollte und mitschleifte.
Das Gericht hielt dem Mann unter anderem zugute, dass er die Tat weitgehend eingeräumt und Reue gezeigt hatte - und offenbar selbst unter dem Geschehen leidet. Alkoholbedingt sei er enthemmt gewesen, was aber in dem Fall keine so große Rolle gespielt habe.
Zudem war der Mann nicht vorbestraft. Eine Bewährungsstrafe kam für das Gericht angesichts der schweren Folgen „unter keinem Gesichtspunkt“ infrage. Angeklagt war der Fahrer wegen Totschlags. Die Richter sahen aber keinen Vorsatz.
„Das Urteil kann Sie nicht wirklich trösten“, sagt der Vorsitzende zu den Nebenklägern, Freund und Bruder der Getöteten. Vielleicht sei es aber der Anfang, das Geschehene bewältigen zu können.