Malavath Poorna: Mit 13 Jahren auf dem Mount Everest
Die Inderin hat als jüngstes Mädchen den Berg bestiegen — nach nur neun Monaten Training.
Neu Delhi. Gerade noch lebte die 13-jährige Malavath Poorna in einem abgelegenen, ärmlichen Dorf im Süden Indiens. Nun stehen Parlamentsabgeordnete in der Hauptstadt Neu Delhi Schlange, um ihr die Hand zu schütteln — was Poorna mit einem so heftigen Druck erwidert, dass so mancher Politiker sich windet. „Ich bin stark“, sagt sie selbstbewusst. Zu recht: Die 13-Jährige stand gerade auf dem höchsten Berg der Welt, als jüngste Bezwingerin des Mount Everests.
„Der Mount Everest ist nicht einfach, das ist echt richtig schweres Klettern. Auch sehr gefährlich, ich sah viele Gletscherspalten“, sagt Poorna. Dann verfinstert sich ihr Gesicht, auf dem die ganze Zeit ein breites Lächeln lag. „Ich sah Leichen, sechs Leichen, und ich bekam richtig Angst.“ Da habe es ihr Kraft gegeben, die zehn Gebote ihrer Hilfsorganisation Swaeroes aufzusagen. Darunter: „Ich soll nie das Ungekannte fürchten“ und „Ich bin nicht weniger wert als andere“.
Denn Poorna gehört zum Stamm der Lambada, einem der indigenen Völker Indiens, die im hierarchischen Gesellschaftssystem des Landes oft benachteiligt werden. „Wir haben kein Geld, arbeiten als Helfer auf den Feldern und viele von uns können nicht lesen und schreiben“, sagt sie. Ihr Dorf Pakala liegt knapp 200 Kilometer nördlich der IT-Metropole Hyderabad. Doch dorthin führt keine Straße und keine Internetverbindung.
Dank Swaeros geht Poorna auf eine Internatsschule, wo sie neben Telugu auch Hindi und Englisch lernt. Sie liebt Leichtathletik, Volleyball, die Kampfsportart Kabaddi — und meldete sich vor neun Monaten, als erstmals ein Bergsteigertraining angeboten wurde.
„Wir fingen mit Felsklettern an, und während die anderen zufrieden waren, wenn sie eine Route einmal schafften, stellte sich Poorna sofort wieder hinten an“, sagt ihr Trainer Parmesh Kumar.
Die Entschlossenheit und Begeisterung half ihr später am Berg. „Als wir das vorgeschobene Basislager auf 6400 Metern erreichten, wurde sie höhenkrank“, erzählt der Begleiter B. Shekher Babu. „Wir schickten sie zurück ins Basislager, doch nach drei Tagen war sie wieder da.“ Schließlich sei sie sogar vor dem 16-jährigen Anand, dem zweiten Jugendlichen der Swaeros-Gruppe, auf dem Gipfel gewesen.
Nach ihrer Rückkehr traf Poorna zahlreiche andere Kinder aus unteren Kasten und Stämmen. Stundenlang schüttelte sie Hände, lächelte in die Kameras, wobei ihr goldener Nasenstecker im Blitzlicht glänzte und der lange schwarze Zopf wippte. „Ich will, dass alle Kinder so stark und mutig werden und die Möglichkeiten ergreifen, die sich ihnen bieten“, sagt sie.
Poorna möchte weiter bergsteigen, am liebsten noch einmal auf den Everest — von der Südseite aus, nicht erneut von Norden. Später möchte sie Polizistin werden.
Archie Bandyopadhyay von der nationalen Kampagne für Menschenrechte der Dalits — also Menschen, die früher als „Unberührbare“ diffamiert wurden — ist beeindruckt. „Sie bestieg den höchsten Berg, während die meisten in ihrem Alter und aus ihrer Gemeinschaft noch nicht einmal ihr Dorf verlassen haben.“