Max Raabe entzückt mit neuem Chanson-Programm

Hamburg (dpa) - Sein Frack sitzt tadellos, die blonden Haarsträhnen sind glatt nach hinten gekämmt, und der Blick ruht auf dem Boden. Wie aus dem Nichts heraus setzt das Orchester mit einem eleganten, schwungvollen Tango ein.

Doch der hochgewachsene Sänger in der Bühnenmitte steht wie versteinert im Schatten des Scheinwerferlichts, lehnt am Konzertflügel und kostet stumm die Takte aus. Erst kurz vor seinem Einsatz tritt er mit wenigen Schritten an das Mikrofon, so dass ihn der Lichtkegel genau in dem Moment trifft, als er zur ersten Silbe anhebt. Und als diese erste Silbe des Baritons erklingt, weiß man: Es gibt nur einen Max Raabe. Mit seiner Tour „Küssen kann man nicht alleine“ feierte er am Sonntagabend in Hamburg Deutschlandpremiere.

Wer schon eines der vielen Konzerte des Gesangskünstlers erlebt hat, weiß um die Finesse, mit der Raabe sein Publikum durch den Abend führt. Es sind die kleinen Kunstgriffe wie das Spiel mit dem Licht, die sparsame, aber pointiert gesetzte Gestik, der trockene Humor und die zurückhaltenden Bewegungen eines Gentleman, die einen Auftritt Raabes zu einem wahren Genuss machen.

Zweifellos ist dieses über die Jahre antrainierte Fingerspitzengefühl zum Markenzeichen des schlanken Chansonniers geworden. Doch die volle Wirkung entfaltet es erst im Zusammenspiel mit seinen Musikern: Der leicht trunkene, leicht blasierte Schlafzimmerblick mit der ironisch hochgezogenen Augenbraue hat einen noch viel stärkeren Effekt, wenn im Rücken des Sängers ein so lebhaftes und kraftvolles Ensemble tobt wie das Berliner Palast Orchester.

Auf die ersten Takte ist das neue Programm zunächst keine Überraschung. Raabe präsentierte sich im Hamburger Congress Centrum (CCH) wie gewohnt als charmanter Entertainer und künstliche Reminiszenz der Vergangenheit. Er zauberte musikalisch das Berlin der Weimarer Republik auf die Bühne und entzückte den voll besetzten Konzertsaal mit seinen heiteren Chansons, Schlagern und Tangos, die den Geist der „Goldenen Zwanziger“ atmen. Seine Stücke drehen sich um die Freuden und Tücken der Liebe, um seine Leidenschaft zu Liese, Lulu und Marie, lassen aber auch Raum für amüsante Lebensentwürfe und Selbstbetrachtungen („In meiner Badewanne bin ich Kapitän“).

Viele Liedtexte entstammen der Feder des Komponisten Fritz Rotter, der mit „Veronika, der Lenz ist da“ schon den Comedian Harmonists eine bekannte Vorlage geschaffen hatte. Diese Muster überträgt der Sänger zurück in die Musik ihrer Zeit. Wenn er singt und sein Orchester ihn begleitet, vermisst man nur das Knistern der Schellackplatte.

Doch nicht Nostalgie und die 20er Jahre, sondern die Popsängerin und Produzentin Annette Humpe gab den entscheidenden Anstoß für „Küssen kann man nicht alleine“, mit der Raabe das gleichnamige Album schließlich geschrieben und vertont hat. Humpe war zu Zeiten der Neuen Deutschen Welle vor allem mit ihrer Band Ideal und später mit Ich + Ich stilbildend gewesen und hatte die deutsche Musiklandschaft nachhaltig geprägt. Ihrem Einfluss lässt sich zuschreiben, dass Raabe textlich einen Schritt in Richtung Gegenwart wagt: Mit Humpe hat er auch Liedzeilen gedichtet, die von Romanzen im ICE oder von Begegnungen mit Günther Jauch und Brad Pitt erzählen.

Statt sich nur der Vergangenheit zu verschreiben, transportiert der Sänger mit seinem neuen Programm auch ein Zeitgefühl von damals ins Hier und Jetzt. Einige Überraschungen bringt die Neuauflage des Prinzips Raabe also durchaus. Das Entscheidende ist dabei aber unverändert geblieben: seine Liebe zu den Frauen.