Mehr Tote in Schiffswrack vor Italien gefunden
Die Helfer finden immer mehr Tote im Schiffswrack vor der italienischen Küste. Womöglich ist auch ein Deutscher unter den geborgenen Opfern. Der Kapitän muss sich gegen schwere Vorwürfe wehren. Umweltschützer befürchten große Schäden.
Giglio/Rom. Die Hoffnung auf Überlebende des Schiffsunglücks vor Italien schwindet: Taucher haben in dem Wrack der „Costa Concordia“ fünf weitere Leichen entdeckt. Die Toten seien am Dienstag im überfluteten Heckteil des gekenterten Schiffes vor der Insel Giglio entdeckt worden, bestätigte ein Sprecher der Gemeinde Giglio. Damit erhöht sich die Zahl der geborgenen Opfer auf mindestens elf. Gegen den Kapitän der „Costa Concordia“ werden immer schwerere Vorwürfe laut.
Womöglich gibt es auch ein erstes deutsches Todesopfer. Einen entsprechenden Bericht des Rundfunksenders Rai bestätigten die deutschen und italienischen Behörden jedoch zunächst nicht.
Das Auswärtige Amt hatte angegeben, dass 12 von 29 Vermissten Deutsche seien. Fünf stammen demnach aus Hessen, je zwei aus Berlin, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen und eine Frau aus Bayern. Der italienische Krisenstab hatte von 14 vermissten Deutschen gesprochen. Außenminister Guido Westerwelle (FDP) versprach, das Schicksal der Vermissten schnell aufzuklären. Es sei erforderlich, dass die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen würden.
Bei den am Dienstag geborgenen fünf Toten handelt es sich um eine Frau und vier Männer im Alter von 50 bis 60 Jahren. Nach Angaben der Küstenwache trugen sie Schwimmwesten.
Der Kapitän des Unglücksschiffes, Francesco Schettino, hatte derweil am Dienstag einen mehrstündigen Haftprüfungstermin. Ihm wird mehrfache fahrlässige Tötung, Havarie und Verlassen der „Costa Concordia“ während der Evakuierung vorgeworfen. Schettino drohen bis zu 15 Jahre Gefängnis, sollte er in einem Prozess verurteilt werden.
Der 52-Jährige soll eigenmächtig die gefährlich nahe Route gewählt haben, um seinem von der Insel stammenden Oberkellner Antonello Tievoli die Möglichkeit zu geben, Giglio zu grüßen. Medienberichten zufolge hatte dessen Schwester auf dem sozialen Netzwerk Facebook angekündigt, dass die „Costa Concordia“ bald ganz nah vorbeifahren werde. Es war nicht das erste Mal, dass ein Kreuzfahrtschiff zu nahe an die Insel kam.
Schettino soll das Schiff mit mehr als 4200 Menschen an Bord zudem schon während der Evakuierung verlassen haben. Der 290 Meter lange Luxusliner hatte einen Felsen gerammt und war leckgeschlagen. Er liegt derzeit in starker Schräglage vor der Insel und droht abzurutschen. Naturschützer fürchten, dass Treibstoff das fragile Ökosystem verschmutzt.
Weil der Kapitän nach der Kollision mit dem Felsen keine Order gegeben und nur telefoniert habe, hätten Teile der Besatzung praktisch „gemeutert“ und allein Rettungsboote für die Evakuierung fertiggemacht, berichtete der „Corriere della Sera“ am Dienstag. „Es reicht, evakuieren wir das Schiff“, zitierte die römische „La Repubblica“ Besatzungsmitglieder.
Die Suche nach Vermissten ging am vierten Tag nach der Havarie weiter. Nach einer Liste des Krisenstabes in Italien werden neben den Deutschen sechs Italiener, vier Franzosen, zwei Amerikaner sowie je ein Ungar, Inder und Peruaner vermisst.
Nach einer Pause über Nacht setzten die Rettungsmannschaften auch Sprengstoff ein, um sich einen Weg durch Trümmer und andere Hindernisse zu bahnen, sagte ein Sprecher der Küstenwache auf Giglio. In dem Schiff soll auch eine 71-Jährige aus Baden-Württemberg sein, wie die Polizei in Esslingen mitteilte.
Die italienischen Behörden gehen davon aus, dass das Wetter bis Donnerstag gut bleibt. Die Rettungsarbeiten könnten auf jeden Fall solange fortgesetzt werden. „Wir wollen das gute Wetter ausnutzen und versuchen, soweit wie möglich voranzukommen“, erklärte Filippo Marini von der Küstenwache.
Italiens Umweltminister Corrado Clini sagte, zur Bewältigung des Unfalls werde der Notstand erklärt. Es gehe darum, die knapp 2400 Tonnen Treibstoff so schnell wie möglich aus den Tanks des Schiffes zu holen. Die Reederei Costa Crociere sei aufgefordert, bis zum Mittwoch einen Plan für das Abpumpen vorzulegen und innerhalb von zehn Tagen anzugeben, wie sie das gekenterte Schiff abtransportieren wolle. Clini befürchtet erhebliche Umweltschäden, sollte der Treibstoff auslaufen, zumal das Wrack weiter in die Tiefe abrutschen könnte.
Auch Naturschützer befürchten Schlimmes: „Bei einem Austritt stellt das Öl eine tödliche Gefahr für zehntausende Meerestiere dar, die in dem 1996 gegründeten Nationalpark Toskanischer Archipel leben“, erklärte der Meeresschutzexperte Kim Detloff vom Naturschutzbundes Deutschland. „Bereits wenige Tropfen Öl führen dazu, dass das Federkleid von Seevögeln seine isolierende Wirkung verliert.“
Der Umweltschutzbund WWF warnte: „Die Unglücksstelle liegt mitten im Pelagos-Meeresschutzgebiet. Das ist das wichtigste Walschutzgebiet im Mittelmeer. Da sind acht Walarten zu Hause, von Delfinen bis Pottwale oder Finnwale“, sagte der WWF-Experte Jochen Lamp.
Auch der materielle Schaden ist gewaltig. Möglicherweise müssen die Versicherer einen Schaden von mehr als einer halben Milliarde Euro einkalkulieren. Die Summe von 500 Millionen Euro könne leicht überschritten werden, berichtete die „Financial Times Deutschland“ unter Berufung auf Versicherungskreise.