Nach der Bluttat an Ludwigshafener Berufsschule: „Trauerarbeit geht vor Unterricht“
Ludwigshafen. Fünf rote ewige Lichter und eine Flagge aufHalbmast erinnern am Montag vor der Berufsschule in Ludwigshafen an dengewaltsamen Tod des 58-jährigen Lehrers.
Während viele der 3200 Schülerschon in den beleuchteten Klassenzimmern sitzen, stehen einzelne inGruppen im Nieselregen vor dem fünfstöckigen Betonbau.
Die Stimmung istgedrückt. Die Erinnerung an die Bluttat vom Donnerstag lässt diemeisten nicht los. „Es ist ein komisches Gefühl, zu wissen, was hierpassiert ist. Dass der Tod da ist“, sagt der 21- jährige Schüler FelixStockert, bevor er in seine Klasse geht. „Ich denke, dass vieleProbleme haben werden, sich zu konzentrieren.“
Am vergangenen Donnerstag hatte ein 23-jähriger Ex-Schüler hier aus Wutüber schlechte Noten seinen früheren Lehrer erstochen. Er steht unterMordverdacht. Die Schule war seit der Tragödie geschlossen, am Montagbegann der Unterricht wieder.
Neben den Schülern betreten auch Notfallseelsorger das Gebäude, zuerkennen an blau-roten Jacken mit der Aufschrift „Notfallseelsorger“auf dem Rücken. Sie sprechen mit Lehrern und Schülern. Auch die Polizeizeigt Präsenz, was viele begrüßen, etwa der 20-jährige Burak.
„Wenn sowas einmal passiert, ist die Gefahr höher, dass es noch mal passiert.Weil solche Leute dann Mut kriegen“, fürchtet der junge Mann, der eineAusbildung zum Kfz-Mechatroniker macht. Sein gleichaltriger KollegeSemir fragt sich, ob die Bluttat die Lehrer an der Schule verändernwird. „Die brauchen sich nicht zu verändern, sie haben keine Schuld“,sagt Burak.
Als besonders engagierter Mann wird der Getötete in einem „Nachruf aufeinen Lehrer“ beschrieben, der an der Tür eines als Schulgebäudegenutzten Pavillons hängt. „Du warst hart, weil Du genau wusstest, dassSchüler, die nichts lernen und danach nichts können, vor die Hundegehen“, heißt es in dem Text, der möglicherweise von einem Kollegenoder Freund in Briefform verfasst wurde.
Der Tote wird als Lehrerbeschrieben, der sich für die Schüler „reinknien“ wollte, wenn diesenur lernen wollten. „Du hast erzählt, dass Du auch ganz schwierigeFälle hattest. Und welche, die Dich bedroht haben.“
Dies habe den Lehrer aber eher nachdenklich als ärgerlich gemacht. „Duwarst besorgt und hast Dir größte Mühe gegeben mit denen, die Du „DeineBuben“ genannt hast. Einer von ihnen hat Dich auf dem Gewissen. Dafürwird er zu büßen haben. Auch wenn er eine schwere Kindheit hatte. DasOpfer bist Du.“
Im Pavillon selbst ist derzeit die provisorische Pressestelleuntergebracht. „Wir haben alle Hände voll zu tun, Lehrer und Schüler zubetreuen“, sagt einer der beiden Lehrkräfte, die neuerdings alsAnsprechpartner für die Presse zuständig sind. „Wir müssen unsereSchüler schützen und schauen, wo ist Bedarf.“
Die Schule bitte umVerständnis. Sie sei ein Schutzraum. „Unsere Priorität liegt beimeinzelnen Menschen“, erklärt der Lehrer. Journalisten und Fremde sollenan diesem Tag vom Schulgelände ferngehalten werden.
Fragen nach der Verfassung der Betroffenen werden abgeblockt. „Wirwollen die Schule als privaten Raum erhalten“, betont seine Kollegin.Zunächst sei ein ganz normaler Unterricht geplant - mit psychologischerBetreuung, die im gesamten Gebäude unterwegs sei, um Betroffenen zuhelfen. Drei Schüler tragen unterdessen eine Trennwand in den Pavillonund heften Zeitungsartikel über die tödliche Messerattacke auf denLehrer aus der Lokalzeitung an das blaue Board.
Ein Mann betritt den Pavillon, blickt suchend um sich. „Ich soll michhier melden“, sagt er. „Worum geht es?“, fragt die Lehrerin. „Umpsychologische Betreuung“. Die Lehrerin bringt ihn zu den Experten insSchulzentrum auf die andere Straßenseite.
Laut Aufsichts- undDienstleistungsdirektion (ADD) in Trier sind diese Woche bis zu 18Schulpsychologen, Notfallseelsorger und Traumaexperten in der Schule imEinsatz. Sprecherin Eveline Dziendziol betont, die Experten seien solange wir nötig vor Ort. „Die Trauerarbeit geht vor Unterricht.“