Die Gerüche der Stadt New York mit der Nase erkunden
New York (dpa) - Eine Frau steckt ihre Nase tief in die Buchsbaumhecke vor einem Luxuswohnhaus auf der New Yorker Fifth Avenue. Ihr Begleiter schnüffelt währenddessen ausgiebig in einen blauen Briefkasten hinein.
Eine weitere Frau kniet sich auf einen Pfad im Central Park und berührt mit der Nase den Boden.
„Hier riecht es doch nach Pferd, da bin ich mir ganz sicher.“ Der Eisverkäufer an der Ecke schaut skeptisch. „Was macht ihr denn da?“ Aber Kate McLean lässt sich nicht beirren und ruft ihre Gruppe zusammen. „Na? Was habt ihr gerochen? Nassen Zement? Wunderbar! Fauligen Stoff? Super! Holz? Toll!“
McLean ist Grafikdesignerin und Geruchsforscherin am Royal College of Art in London. In Städten auf der ganzen Welt organisiert sie „Riech-Touren“, erstellt „Geruchs-Landschaften“ und vergleicht die Gerüche verschiedener Städte miteinander. „Die New Yorker und ihre Beziehung zu Gerüchen liebe ich besonders, denn es hat etwas sehr Emotionales, wie New Yorker auf die Gerüche ihrer Stadt reagieren - ob es die Gerüche der U-Bahn oder die Gerüche der Straßen sind.“
Dabei sei Midtown Manhattan eigentlich einst speziell so angelegt worden, dass der Luftdurchzug begünstigt und die Gerüche aus der Stadt gefegt werden, erklärt McLean den rund 20 Teilnehmern der vom Design-Museum Cooper Hewitt auf der Upper East Side organisierten „Riech-Tour“. Gebracht haben die breiten Straßen und Avenues aber nicht allzu viel. Steht die Luft, bleiben auch die Gerüche, und das ist im Sommer bei zudem hoher Luftfeuchtigkeit häufig der Fall. „Wenn ihr denkt, dass New York heute schlecht riecht, stellt euch vor, wie es erst vor 100 Jahren oder mehr war - es war so viel schlimmer!“
In jeder Stadt gebe es drei Grundarten von Gerüchen, sagt McLean. „Allem zugrunde liegen die Gerüche, die immer vorhanden sind. In Singapur beispielsweise sind das der Geruch der Luftfeuchtigkeit und der Geruch der scharfen Gewürze des Essens.“ Außerdem gebe es vorübergehende Gerüche, beispielsweise von einer Bäckerei, in der gerade gebacken wird, oder Verkehrsgerüche während der Rush Hour. Und schließlich seien da die vorbeifliegenden Gerüche. „Die könnten zum Beispiel von jemandem kommen, der an euch vorbeiläuft. Man verbringt viel Zeit damit, diesen Gerüchen nachzujagen.“
Gerüche seien chemische Moleküle, erklärt McLean weiter. Sie werden abgesondert, durch die Luft getragen und geraten dann durch die Nasenlöcher ins Gehirn. „Das Riechen kann man nicht abstellen wie das Hören, es ist einfach immer dabei.“ Zwischen einer Billion verschiedener Gerüche könne der Mensch theoretisch unterscheiden - „aber um jeden Geruch einmal zu riechen, müssten wir 114 000 Jahre leben ... das wird also nicht passieren“.
Trotzdem soll die Gruppe bei einer Tour zum nahe gelegenen Central Park so viele Gerüche wie möglich einsammeln. „Möglicherweise müsst ihr dafür eure Nase in etwas hineinstecken oder an Baumrinde kratzen oder ein Blatt zerreißen.“ Außerdem nicht einfach nur einatmen, sondern schnüffeln - „dann bekommt ihr doppelt so viele Geruchsmoleküle“. Die verschiedenen Gerüche sollen die Teilnehmer dann benennen. „Nicht nur identifizieren. Beim letzten Mal hat einer zum Beispiel den Geruch von zerbrochenen Träumen entdeckt. „Das habe ich auch gerochen“, hat dann ein anderer gesagt. „Das ist der Geruch von abgestandenem Bier auf dem Bürgersteig.“
Müll, Abgase, Schweiß - für viele Menschen ist das muffige New York im Sommer schwer zu ertragen. Aber für McLean hat New York gerade im Sommer einen ganz besonderen Geruch: „Der Geruch der Bürgersteige und das Reflektierende des Asphalts, dazu Knoblauch - das ist sehr New York. Gesundes Leben neben Verkehr neben Hitze.“ Am liebsten schnüffelt die Expertin sich durch das Viertel Jackson Heights im Stadtteil Queens, wo vor allem Einwanderer aus der ganzen Welt leben. „Das ist eine ganze Kakophonie an Gerüchen, die von Vielfalt und Energie zeugt. Es ist verführerisch!“