Niederländischer Wander-Marathon zum 100. Mal
Nimwegen (dpa) - Den Rucksack auf dem Rücken, kurze Hose, luftiges Shirt, eine Baseballkappe auf dem Kopf: Luc ist bereit. Es ist kurz vor vier Uhr morgens am Dienstag in Nimwegen.
Der 42-jährige Niederländer tritt leicht nervös von einem Fuß auf den anderen. In wenigen Augenblicken beginnt die größte Wanderung der Welt. Die „Vierdaagse“. Und das zum 100. Mal. Für Luc ist es die erste Marathon-Wanderung. Täglich will er 50 Kilometer laufen, und das vier Tage hintereinander. „Ich hab zwar trainiert“, sagt er. „Und wenn es nicht mehr geht, dann zieht mich die Menge schon mit.“
Vier Uhr. Startschuss. Buntes Konfetti regnet über die Wanderer. Tausende Zuschauer, Familie und Freunde rufen den Läufern ein letztes „Zet hem op“ - Gib dein Bestes! - zu. Dann geht es los.
Rund 47 000 Wanderer machen in diesem Jahr bei der Jubiläumsrunde mit. Mehr als 2000 Angemeldete waren nicht am Start auf dem Wedren im Zentrum von Nimwegen im Osten der Niederlande erschienen. Weil sie verletzt oder krank sind, ihr Wander-Kumpan ausfiel oder weil sie kalte Füße bekamen.
Denn die „Vierdaagse“ ist alles andere als ein Spaziergang. Täglich einen Marathon laufen und das bei hochsommerlichen Temperaturen? „Das ist keine Katzenpisse“, sagt Gerda (56) aus Friesland lachend. Das heißt soviel wie „kein Pappenstiel“. Sie läuft bereits zum siebten mal mit, immer mit ein paar Freundinnen. „Super gezellig.“
Wie ein endloser dicker Wurm schlängelt sich der bunte Zug der Marschierer durch die hügelige Landschaft rund um Nimwegen. Am ersten Tag geht es über die große Waal-Brücke zum Städtchen Elst.
Nach etwa 13 Kilometern sind alle Plätze im Zelt des Roten Kreuzes bereits belegt. Sanitäter Alex hat alle Hände voll zu tun. „Blasen“, sagt er. Des Wanderers größter Feind. „Das ist die Hitze,“ erklärt Alex. Eine ältere Frau flucht, während er fachkundig Pflaster klebt. „Das hatte ich noch nie.“ Humpelnd bricht sie wenig später wieder auf. Vor ihr liegen noch einmal knapp 30 Kilometer.
Blasenpflaster gehören in jeden Wanderrucksack, wissen erfahrene Marschierer. Und Wasser. Aber dicke Käsestullen sind unnötig. Links und rechts am Wegesrand stehen Tausende von Anwohnern mit Musik, Wasser oder Obst. Und für die ganz Müden haben sie auch mal einen Stuhl zum Ausruhen oder eine Dusche aus dem Gartenschlauch.
Das Wandern ist schon längst nicht mehr nur des Holländers Lust. Aus 68 Ländern reisten sie diesmal an, sogar aus Usbekistan und Südkorea. Wolfdieter Böhme aus Schleswig-Holstein dreht in diesem Jahr eine goldene Runde. Zum 50. Mal ist er dabei. Als junger Soldat hatte er 1965 zum ersten Mal mitgemacht, erinnert sich der 79-Jährige. „Es hat mich gepackt und nie wieder losgelassen.“ Jedes Jahr stellt er sich aber doch die bange Frage: „Schaff ich es noch?“. Na klar. - Denn wie heißt das Motto zum Jubiläum? „Wer wandert, wird hundert.“ Blasen hat der Deutsche jedenfalls nie. Und Muskelkater? „Kenn ich nicht.“
Die „Vierdaagse“ ist wie ein Virus, der Wanderfreunde nicht mehr los lässt. Ursprünglich sollten 1909 mit den Vier-Tages-Märschen nur gut 300 schlappe niederländische Rekruten auf Trab gebracht werden. Doch bald liefen weitaus mehr Zivilisten mit. Inzwischen ist Nimwegen in der dritten Juli-Woche auch Schauplatz des größten Volksfestes des Landes. Musik, Feste, Kneipen locken jährlich bis zu zwei Millionen Menschen.
Nur die Wanderer haben wirklich was anderes im Sinn als Party, wenn sie müde und verschwitzt wieder in Nimwegen eintreffen. „Duschen, essen, schlafen“, sagt der deutsche „Vierdaagse“-Veteran Böhme. Denn am nächsten Tag geht es weiter.
Das Ziel ist der Einzug auf der Sint Annastraat, die Via Gladiola, wie sie in diesen Tagen heißt. An den Straßenrändern haben Nimwegener bereits ihre Couchgarnituren aufgebaut. Dann haben sie den besten Platz, wenn die Wanderer am Freitag wie Helden empfangen werden. Mit Gladiolen, Musik und Medaillen.