Niels Frevert im Deutschpop-Olymp
Berlin (dpa) - Kaum ein deutscher Singer/Songwriter montiert Mutterwitz, Melancholie und Mitgefühl so souverän mit stilvollem Pop wie Niels Frevert. Bisher haben dies noch zu wenige mitbekommen - meint auch der Musiker selbst.
Sein neues Album soll das nun ändern.
Frevert kennt das ja schon: Hymnische Besprechungen seiner Platten, bestens besuchte Clubkonzerte, jede Menge Respekt in der deutschen Songwriter-Szene - und dann, nach drei oder vier Jahren, das nächste Album und wieder ein mühsamer Neustart als Geheimtipp. „Der Begriff Kritikerliebling hat ja einen komischen Beigeschmack, wenn er ausschließt, dass man auch ein Publikum hat“, sagt der 46-Jährige im Gespräch mit der Nachrichtenagentur dpa auf die Frage, was er von seinem Status halte.
Ein Publikum hat Frevert seit gut 20 Jahren durchaus, zunächst mit der Band Nationalgalerie, ab 1997 dann solo. Nun soll die Fangemeinde deutlich größer werden. Und die Voraussetzungen sind gut, denn „Paradies der gefälschten Dinge“ ist ein Album, wie es im deutschen Pop nur alle Jubeljahre vorkommt: Unaufdringlich kluge, auf scharfer Alltagsbeobachtung, Humor und viel Empathie basierende Texte, die Frevert und seine bewährte Band dem Hörer mit prachtvollen Harmonien verführerisch ins Ohr träufeln.
„Es geht mir tatsächlich um das Feld „gehobener Mainstream“, das meiner Ansicht nach in Deutschland etwas unterbelichtet ist“, bekräftigt der Sänger und Gitarrist seine schon früher geäußerte Ansage, dass er nämlich genau dieses Feld „nicht den Anderen überlassen“ wolle.
Frevert muss sich von „den Anderen“ gar nicht namentlich abgrenzen - für abwertende Worte ist der Hamburger auch viel zu höflich. Er verweist stattdessen auf Vorbilder - etwa die Deutschpop-Band Element Of Crime mit dem Roman-Bestseller schreibenden Frontmann Sven Regener: „Die haben sich das mit jeder Platte erarbeitet - ein extrem gutes Beispiel, davon brauchen wir noch mehr.“
Auch Frevert ist schon so lang im Geschäft, dass er sich für den Kommerz nicht mehr verbiegen lassen will. „Für mich geht es in erster Linie darum, Platten in den Laden zu stellen, die mir selbst gefallen.“ Doch damit seine Musik nun von mehr Pop-Fans beachtet (und gekauft) wird, erklimmt er mit „Paradies der gefälschten Dinge“ eine neue Stufe.
So wechselte Frevert nach Auslaufen seines Vertrages mit der kleinen, feinen Hamburger Plattenfirma Tapete zu Herbert Grönemeyers Liebhaber-Label Grönland. „Ein Super-Hafen, um anzudocken - meine Musik passt dazu. Und Grönemeyer ist ein sehr guter Typ, er macht es einem Label-Künstler leicht.“ Beim Budget für die neue Platte wurde „ein bisschen“ draufgesattelt: „Es ist eine Nummer größer - ein logischer Schritt.“
Die Streicher- und Bläser-Arrangements fallen also noch etwas opulenter aus als beim Vorgängeralbum „Zettel auf dem Boden“ (2011), mit dem Frevert erstmals einen orchestralen Pop-Ansatz wagte. Und für die Produktion seiner zehn neuen Lieder in mehreren norddeutschen Studios konnte er sich mehr Zeit und Sorgfalt gönnen.
Das Ergebnis spricht Herz und Hirn an, Musik und Texte bezaubern den Hörer und fordern ihn zugleich heraus - Deutschpop für denkende Menschen, von einem souveränen Songschreiber, der auch mit dem etwas altbackenen Etikett „Liedermacher“ nach eigener Aussage gut leben kann.
Wohl nur ein Niels Frevert kommt auf Satzkonstrukte wie diese: „Und plötzlich wird meine Hand von Deiner gehalten/und plötzlich will ich irgendwann mal alt werden.“ Kaum zu glauben, dass sowas gesungen auch noch ganz wunderbar klingt - im Refrain des Songs „Das mit dem Glücklichsein ist relativ“, zu dem ein Video mit Bildern aus einer verstörend menschenleeren Erfurter Reihenhaussiedlung existiert.
Es ließen sich aus „Paradies der gefälschten Dinge“ noch viele denkwürdige Textzeilen herauspicken: die bewegende Schilderung eines verzweifelten Psychiatrie-Insassen („Schwör“); die sanft-ironische Beschreibung beseelter Kirchentags-Pilger („UFO“), die absurd anmutende Tragödie eines Komapatienten („Muscheln“). Teils schwerer Stoff, musikalisch jedoch stets federleicht verpackt in edlen Pop, Gitarren-Bossa, auch ein wenig weißen Soul.
„Ich sammele Zeilen, ich sammele Geschichten“, sagt Frevert über die Ursprünge seiner Songtexte. „Dinge, die ich mitbekomme, die ich erzählt bekomme - daraus forme ich dann eine neue Geschichte.“ Und doch spürt man gelegentlich Freverts persönlichen Hintergrund, etwa in der jazzigen Piano-Ballade „Die Abbiegung“: Sensibler als dieser große deutsche Songpoet hat noch niemand die komplizierte, fragile Beziehung eines Vaters zu seiner 16-jährigen Tochter seziert.
Konzerte von Niels Frevert und Band im November/Dezember: 17.11. Düsseldorf, Zakk; 18.11. Frankfurt, Brotfabrik; 19.11. Saarbrücken, Garage; 20.11. München, Orangehouse; 21.11. Wien, B72; 22.11. Dresden, Scheune; 27.11. Zürich, Bar Rossi (solo); 3.12. Lingen, Alter Schlachthof; 4.12. Bremen, Lagerhaus; 5.12. Köln, Luxor; 6.12. Münster, Gleis 22; 7.12. Stuttgart, ClubCANN; 9.12. Mannheim, Alte Feuerwache; 10.12. Erlangen, E-Werk; 11.12. Berlin, Lido; 12.12. Hamburg, Mojo; 13.12. Flensburg, Volksbad