Feature NRW-Tag: Der Traum von der "Stadt der Städte"

Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) hat den NRW-Tag zum 72. Landesgeburtstag mit großer Symbolik aufgeladen. Nicht nur mit freiwilliger.

Essen. Die Sonne lacht, der Ministerpräsident strahlt. Im hellen Sommer-Anzug mit freundlich gelber Krawatte eröffnet Armin Laschet am Samstagvormittag den Nordrhein-Westfalen-Tag. Auf der Hauptbühne in der Essener Innenstadt lobt Laschet die „große industrielle Vergangenheit des Ruhrgebiets“ und versichert, dass nie die großen Leistungen der Bergleute und ihrer Familien vergessen werden. Vor allem aber preist der Regierungschef „das enorme Potenzial der Metropole Ruhr für die Zukunft, an der wir gemeinsam arbeiten“ zu diesem 72. Landesgeburtstag: „Glück auf, Essen! Glück auf, Ruhrgebiet! Glück auf, Nordrhein-Westfalen!“

Foto: dpa

Die Polizei ist mit dem ersten Tag zufrieden („schönes Bürgerfest“), der Chef der der Essen Marketing GmbH „mega zufrieden“, weil viel mehr Besucher als erwartet in die Innenstadt gekommen sind. Wen stört da, dass Laschet das Fest ohne Bürger vor geladenen Gästen am Freitagabend auf der Zeche Zollverein schon einmal eröffnet hat — weil Essen es einfach nicht hinbekommt, Festakt und Fest an einem Ort stattfinden zu lassen? „Die Anforderungen an das Verkehrs- und Sicherheitskonzept haben mit Blick auf die zu erwartenden Besucherströme die Überlegungen notwendig gemacht“, musste die Stadt im Juli leicht verdruckst erklären, warum das Zollverein-Gelände aus Platzmangel und wegen Großbaustellen im Stadtteil Katernberg eigentlich ausscheidet.

Zur Ehrenrettung Essens: Die Stadt wollte das NRW-Fest gar nicht haben — und auch keine andere. Nach dem NRW-Fest 2016 in Düsseldorf gab es keine einzige Bewerbung einer NRW-Stadt um den Landesgeburtstag: zu aufwendig, zu teuer. Es war Laschet Staatskanzlei, die schließlich im CDU-geführten Essener Rathaus anklopfte und den Geburtstags-Akt mit großer Symbolik auflud. Denn im Jahr der letzten Zechenschließungen will die schwarz-gelbe Landesregierung mit der „Ruhrkonferenz“ einen Beleg abliefern, dass sie die (noch) von roten Rathäusern beherrschte Brachland-Gegend und Ex-SPD-Herzkammer zwischen Niederrhein und Westfalen nicht aufgibt.

Und so gerät die Eröffnung des NRW-Fests am Freitagabend zum halben Staatsakt: Das Kabinett hat seine Sitzung dorthin verlegt, Laschet gibt den offiziellen Startschuss zur „Ruhrkonferenz“ mit 20 Themenforen. Alle Ministerien sollen sich einbringen, Chef ist Stephan Holthoff-Pförtner (CDU), der Minister für Bundes- und Europaangelegenheiten, der zugleich Miteigentümer der Essener Funke-Mediengruppe ist. Für einen Beirat wurden Unternehmerpräsident Arndt Kirchhoff, DGB-Landeschefin Anja Weber und Ruhrbischof Franz-Josef Overbeck gewonnen. Je nach politischem Lager gelten die Mitstreiter der einzelnen Foren als beachtlich oder berüchtigt. Eon-Chef Johannes Teyssen gehört ebenso dazu wie Bahn-Vorstand Ronald Pofalla, lange Kanzlei-Partner von Stephan Holthoff-Pförtner.

Ruhrkonferenzen gab es auch früher schon. Die Idee von der „Ruhrstadt“ und von der „Metropolregion“ als „Stadt der Städte“ geistert bereits seit 1920 durch die Region, und keiner kann zählen, wie oft sie schon am Kirchturm-Denken der einzelnen Städte gescheitert ist; manchmal war Scheitern das Ziel, oft das Ergebnis rücksichtslos verfochtener Eigeninteressen: Zwischen den Straßenbahnen von Essen und Gelsenkirchen, deren Endhaltestellen 500 Meter auseinander liegen, muss ein Pendelbus verkehren; in Essen fährt die Bahn auf Gleisen mit einer eigenen Spurbreite. Ob Konzertsäle oder Einkaufszentren, keine Stadt gönnt der anderen auch nur den Dreck unter dem Fingernagel. Anfang der 2000-er Jahre verhinderte der Streit der Städte eine BMW-Ansiedlung mit 3000 Arbeitsplätzen und 25 000 weiteren im zuliefernden Umland.

Wann immer der Traum von der „Metropole Ruhr“ wieder aufblitzt, wird er kurze Zeit später zertrümmert. 2010 war das Ruhrgebiet „Kulturhauptstadt“ und präsentierte sich zwischen Duisburg und Dortmund leidlich erfolgreich. 2011 verkündeten kommunale Wirtschaftsförderer, der Zusammenschluss der 53 Revier-Städte zur „Ruhrstadt“ sei tot und verlegten sich wieder auf den Seperatismus. Der Duisburger Horizont endet am Niederrhein, Essen denkt nicht über Mülheim, Oberhausen und Bottrop hinaus, Dortmund plant für Dortmund. Das alles weiß auch die schwarz-gelbe Landesregierung, deshalb soll es diesmal anders laufen: Die handelnden Personen und kleine, schlagkräftige Teams sollen die Themen treiben.

Weil es gar nicht symbolkräftig genug zugehen kann, verkünden am Freitag Abend die fünf Ruhr-Konzerne Eon, Evonik, Hochtief, RWE und Thyssenkrupp mit dem Regionalverband Ruhr eine neue „Zukunftsinitiative“ und singen das Loblied der „Heimat Ruhrgebiet“. Das sieht mehr nach Selbsthilfegruppe als nach Zukunft aus. Dazu tragen Mitarbeiter eines Essener Caterers erfundene Regional-Häppchen wie Oberhausener Griebenschmalztaler, Mülheimer Spinat-Brennesselaflauf, Bochumer Currywurst und Duisburger Poulardenspieße herum. Das alles findet auf Zollverein in dem erst 2006 errichteten und architektonisch gerühmten SANAA-Gebäude statt, das für den errichteten Zweck kaum zu nutzen, nicht wirtschaftlich zu betreiben und demnächst auch nicht mehr zu heizen ist. Gekostet hat den Steuerzahler der Spaß ohne Wertsubstanz bis heute deutlich mehr als 30 Millionen Euro.

Während am Freitagabend als Höhepunkt der Eröffnung des Festakts ohne Bürger die Essener Philharmoniker ein Open-Air-Konzert auf Zollverein geben, entfällt ein Teil der Begründung für die Zweiteilung des Landesgeburtstags. Die war von der Stadt unter anderem mit dem Platz-Bedarf „insbesondere der Polizei, Feuerwehr und Hilfsorganisationen auf der sogenannten Blaulichtmeile“ begründet worden. „Wir bedauern sehr, dass insbesondere Vorführungen der Hundertschaften und die Ausstellung einiger Sonderfahrzeuge auf der Blaulichtmeile in der Essener Innenstadt nicht stattfinden können“, erklärt die Polizei am Abend. Da sind die NRW-Hundertschaften nebst Wasserwerfer und Reiterstaffel bereits auf dem Weg nach Chemnitz.

Das alles stört das schöne Bürgerfest in der City so wenig wie ein Anti-Kohle-Protest am Förderturm von Zollverein, am zweiten Tag wird es sogar noch voller in der Essener Innenstadt. Schließlich ist verkaufsoffener Sonntag. Wann sonst hat Essen schon mal die Gelegenheit, dem Mülheimer Rhein-Ruhr-Zentrum und dem Oberhausener Centro die Wurst vom Brot zu nehmen?