„Oma Anneliese“ war Bürgermeisterin für zehn Tage

Über Nacht zum Stadtoberhaupt. Am Donnerstag hatte „Oma Anneliese“ ihren letzten Arbeitstag — und ist heilfroh darüber.

Lauter-Bernsbach. Verträge unterschreiben, Weichen für die Zukunft stellen — zehn Tage harte politische Arbeit liegen seit Donnerstag hinter Anneliese Scherzer. „Es war interessant und eine große Verantwortung, aber ich bin froh, wenn bald alles wieder seinen geregelten Gang geht“, sagt die 77-Jährige.

Weil es nach dem Zusammenschluss der Gemeinden Lauter und Bernsbach (Erzgebirgskreis) am 1. Januar noch keinen regulären Bürgermeister gibt, kam Scherzer über Nacht zu ihrem Posten als Stadtoberhaupt. Die Gemeindeordnung sieht vor, dass das älteste Ratsmitglied der beiden Orte bis zur Wahl des neuen Stadtrates die Geschäfte führt — und das ist Scherzer.

Seit Donnerstag übernimmt ein Amtsverweser die Geschäfte bis zur Bürgermeisterwahl im April. Die vergangenen Tage waren nicht leicht, schließlich ist die Zeit nach einer „Gemeindehochzeit“ turbulent. Die Verwaltungsaufgaben müssen neu verteilt, die Ortsrechte vereinheitlicht werden. „Dazu gehören wichtige Unterschriften, und man hofft dann, alles richtig zu machen“, erzählt die Frau mit den grauen Locken und der goldumrandeten Brille.

Dabei gehört für „Oma Anneliese“, wie ihre vier Enkelkinder sie nennen, Politik zum Alltag: Seit fünf Jahrzehnten engagiert sie sich in der Kommunalpolitik. Weil Scherzer keinen Führerschein besitzt, muss sie die Wege allerdings mit dem Bus zurücklegen, oder sie lässt sich von Mitarbeitern im Auto mitnehmen.

Selbst beim Deutschen Städte- und Gemeindebund sorgt die 9000-Einwohner-Stadt mit ihrer Bürgermeisterin für Aufsehen: „Mir ist so ein Fall bisher bundesweit noch nicht untergekommen“, sagt der Referatsleiter für Recht und Verfassung, Ulrich Mohn.

Der Rummel um ihre Person ist Scherzer unangenehm, sie steht nicht gern im Mittelpunkt. „Ich erledige doch nur meine Aufgabe.“ Nach dem letzten Arbeitstag, freut sich die 77-Jährige nun auf Ruhe und einen gemütlichen Spaziergang. Aber: „Die Politik hänge ich noch lange nicht an den Nagel.“