Staatsanwaltschaft forderte acht Jahre Haft Organspende-Prozess: Arzt trotz Manipulationen freigesprochen

Göttingen (dpa) - Obwohl er durch Manipulationen in das Verfahren zur Vergabe von Spender-Organen eingegriffen hat, wurde der im Transplantations-Prozess angeklagte Arzt freigesprochen.

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Das Verhalten des Mediziners sei zwar „verwerflich“ und zu missbilligen, aber nicht strafbar, urteilte das Landgericht Göttingen am Mittwoch.

Der frühere Leiter der Göttinger Transplantationsmedizin habe durch falsche medizinische Angaben dafür gesorgt, dass ein Teil seiner Patienten auf der Warteliste für Spenderorgane bei der Vergabestelle Eurotransplant nach oben rutschte, sagte der Vorsitzende Richter Ralf Günther in der Urteilsbegründung. Es habe Manipulationen gegeben, die nach moralischen Wertvorstellungen zu missbilligen seien. Der Arzt habe sich damit allerdings „unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt strafbar gemacht“.

Die Staatsanwaltschaft Braunschweig, die acht Jahre Freiheitsstrafe und ein lebenslanges Berufsverbot für den 47-jährigen Chirurgen gefordert hatte, kündigte noch im Gerichtssaal Rechtsmittel gegen das Urteil an. Der Bundesgerichtshof solle jetzt das Urteil überprüfen, sagte eine Sprecherin.

Die Anklage hatte dem Arzt unter anderem versuchten Totschlag in elf Fällen vorgeworfen. Er habe medizinische Daten manipuliert, damit seine Patienten bei der Vergabe von Spenderlebern bevorzugt würden. Dadurch hätten andere schwer kranke Patienten kein Organ erhalten und seien deshalb möglicherweise gestorben.

Mit ihrer Anklage hatte die Staatsanwaltschaft juristisches Neuland betreten. Denn konkrete Namen von Menschen, die wegen des Handelns des Arztes gestorben sein könnten, konnte sie nicht nennen. Aus Sicht des Landgerichts sind die Vorwürfe haltlos. Die Auswirkungen der Manipulationen seien nicht nachvollziehbar, sagte Richter Günther. Es lasse sich nicht feststellen, ob andere Patienten, die ursprünglich auf der Warteliste weiter vorne standen, wegen der Manipulationen kein Organ bekommen haben oder gar gestorben seien.

Der Arzt habe jedenfalls darauf vertrauen können, dass auch die auf der Warteliste überholten Patienten ein Organ erhalten, sagte der Richter. Ein Totschlag-Motiv sei jedenfalls nicht erkennbar. Im übrigen hätte alle vom Angeklagten operierten Patienten ein Spenderorgan benötigt. Einige von ihnen würden ohne Transplantation heute nicht mehr leben, sagte Günther.

Nach Auffassung des Gerichts kann dem Arzt auch nicht zum Vorwurf gemacht werden, dass er alkoholkranken Patienten Lebern übertragen hat, obwohl diese noch nicht sechs Monate abstinent gelebt hatten. Die entsprechende Richtlinie der Ärztekammer verstoße gegen das Grundgesetz, weil sie diese Patienten von der Organvergabe ausschließe, sagte der Vorsitzende Richter.

In einem zweiten Anklage-Komplex hatte die Staatsanwaltschaft dem Arzt vorgeworfen, er habe drei Patienten neue Lebern eingepflanzt, obwohl sie nicht richtig aufgeklärt und die Transplantation medizinisch nicht erforderlich gewesen seien. Weil die Patienten später gestorben waren, wertete die Anklage dies als Körperverletzung mit Todesfolge.

Auch diese Vorwürfe sieht das Gericht als widerlegt an. Die Patienten seien wirksam aufgeklärt worden und hätten in die Transplantationen eingewilligt. Die Eingriffe seien zudem erforderlich gewesen und fachgerecht ausgeführt worden.

„Der Freispruch ist das Urteil, für das wir gekämpft haben“, sagte Verteidiger Jürgen Hoppe. Sein Kollege Steffen Stern erklärte, der Arzt habe von Manipulationen nichts gewusst. Der Mediziner reagierte mit sichtlicher Erleichterung auf den Freispruch. Für die elf Monate lange Untersuchungshaft sprach das Gericht ihm eine Entschädigung zu. Ob und wenn ja, wo der 47-Jährige wieder als Arzt arbeiten wird, blieb zunächst offen.

Seit August 2013 war in Göttingen an mehr als 60 Tagen gegen den Transplantations-Chirurgen verhandelt worden. Dabei wurden gut 100 Zeugen und neun Sachverständige zum Teil mehrfach vernommen. Nach Bekanntwerden der Vorwürfe im Jahr 2012 war in Deutschland die Zahl der Organspenden deutlich gesunken.

Die Deutsche Transplantationsgesellschaft betonte am Mittwoch, dass Manipulationen wie in Göttingen inzwischen klar unter Strafe stehen. Nach dem Skandal verschärfte Regeln hätten dazu geführt, dass Verstöße mittlerweile klar definierte, strafrechtliche Konsequenzen hätten.

Der Vorsitzende des Bundestags-Gesundheitsausschusses, Edgar Franke (SPD), hält das Organvergabe-System inzwischen für weitgehend manipulationssicher. Durch engmaschige Kontrollen der Transplantationszentren und ein Sechs-Augen-Prinzip seien individuelle Manipulationen, wie sie 2012 in Göttingen aufflogen, inzwischen weitgehend ausgeschlossen, sagte Franke dem Südwestrundfunk. Der Politiker warb für eine höhere Spendenbereitschaft und verwies darauf, dass täglich drei Patienten sterben, die auf der Warteliste für ein Spenderorgan stehen.