Peter Simonischek im Salzburger „Sturm“
Salzburg/Hallein (dpa) - Dieser Shakespeare-Abend bei den Salzburger Festspielen sollte Peter Simonischek gehören. Der große österreichische Mime, der viele Jahre als Salzburger „Jedermann“ brillierte und zur Zeit in dem hoch gelobten Kinofilm „Toni Erdmann“ gefeiert wird, spielte kurz vor seinem 70. Geburtstag (6.8.) den Zaubererherzog Prospero im „Sturm“, eine Traum-Altersrolle.
„Eine Riesenherausforderung, ein Geschenk“, freute er sich in einem Zeitungsinterview.
Es kam anders. Natürlich war Simonischek ein ansehnlicher Prospero. Doch ein Anderer stahl ihm an diesem denkwürdigen Theaterabend die Schau: Jens Harzer als Prosperos missgestalteter Sklave und Diener Caliban. Wie Harzer buchstäblich in die schmutzige, von Narben übersäte Haut dieses armseligen Menschentieres schlüpfte, wie er seinen wechselnden Meistern in masochistischer Selbsterniedrigung - ganz echt - die Hände und Füße und Stiefel leckte, wie er sich bis auf die Haut entblößte und dabei seine zutiefst verletzte Seele bloßlegte, das war allerhöchste, selbst entäußernde, erschütternde, direkt zu Herzen gehende Schauspielkunst.
Das Publikum konnte gar nicht anders, als Harzer beim Schlussapplaus die Krone zu überreichen. Um ihn herum verblassten die anderen, so inspirierten und erfahrenen Mimen - unter ihnen auch der frühere Manfred-Krug-„Tatort“-Assistent Charles Brauer als Gonzalo, Ratgeber des Königs Alonso von Neapel (Branko Samarovski), der Prosperos verräterischem Bruder Antonio (Daniel Friedrich) zur Macht in Mailand verholfen hat. Und Maximilian Pulst als Ferdinand, Sohn des Königs von Neapel, der sich auf der Insel in Prosperos Tochter Miranda (Sara Tamburini) verliebt - am Ende mit dem Segen des Alten.
Und es verblasste eben auch Simonischek, der den Prospero von Anfang an zu altersmilde, zu jovial, zu abgeklärt anlegt. Mehr guter Onkel als ein vom Leben und dem Verrat durch den eigenen Bruder gezeichneter, auf grausame Rache sinnender, dämonischer Tyrann eines kleinen Eilandes, auf das er mit seiner Tochter verbannt wurde - mit Caliban und dem Luftgeist Ariel als seinem einzigen Untertan. Immer wieder schimmerte bei Simonischek der „Jedermann“ durch, den er ja auch recht sympathisch gespielt hatte.
Das lag aber nicht zuletzt an Deborah Warner. Die britische Regisseurin verzichtet auf Regie-Firlefanz, lieferte auf der nur spärlich mit allerlei Strandgut und poetischen Meeresvideos dekorierten, riesigen offenen Bühne der alten Salzfabrik auf der Perner-Insel in Hallein eine äußerst texttreue, puristische „Sturm“-Deutung. Man verstand jedes Wort und konnte sich an Shakespeares Versen delektieren wie an einer Sinfonie, streckenweise sogar im englischen Original.
Doch der Inszenierung fehlte das Doppelbödige, die Brechung, das Dämonische. Denn Prospero ist eben auch selbst ein Tyrann, nicht nur der gütig Entsagende. Zu diesem wandelt er sich aus wenig ersichtlichen Gründen am Schluss, als er seine Gegner von einst, die er mittels eines heraufbeschworenen Sturms auf seine Insel gezwungen und mit Zaubereien in Angst und Schrecken versetzt hatte, großmütig freigibt.
Ein Hinweis auf Prosperos Doppelgesichtigkeit findet sich aber. Es gibt nämlich jemanden, dem er nicht wirklich vergibt: Caliban. Und es gibt den Luftgeist Ariel, seinen Zaubergehilfen, sehr anrührend gespielt von dem jungen, aus der Londoner Transvestitenszene stammende Playback-Performer Dickie Beau. Prospero dirigiert Ariel mittels eines Spiegels. Am Ende zerschmettert er den Spiegel, woraufhin Ariel wie vom Blitz getroffen zu Boden fällt. Dabei wollte Prospero seinem flüchtigen Helfer doch die ersehnte Freiheit geben.